Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
Achse des Guten. achgut.com 25.06.2016
Eine verminte Debatte: Über Rassen und Rassismusgerede
Von Gerald Wolf
Hunderassen und Pferderassen gibt es, Rassen von Katzen und solche von Karpfen, den Kois. In der Tierzucht versteht man unter Rassen Züchtungsformen, die von einer bestimmten Tierart, dem Wildtyp, ausgegangen sind. Die genetischen Unterschiede halten sich noch immer in Grenzen, nämlich in denen der Art, selbst dann, wenn sich die jeweiligen Rassen in ihren körperlichen Merkmalen oder im Verhalten stark vom Ursprünglichen unterscheiden. In der Zoologie und Botanik spricht man vorzugsweise von Unterarten, seltener von Rassen, wenn es um innerartliche Unterschiede geht. Zumeist sind sie durch geografische Isolation bedingt.
Wie nun sieht es mit unserer eigenen Art aus? Auch Homo sapiens hat im Ergebnis geografisch getrennter Entwicklungen unterschiedliche Typen hervorgebracht. Sie fallen ins Auge, wenn man die Kopfform, die Gestalt und die Körpergröße betrachtet oder die Hautfarbe, den Haartyp, den Lidschnitt vergleicht und die Form und die Länge der Nase. In ihrer jeweiligen Kombination ergeben sich Eigentümlichkeiten, durch die sich die Afrikaner südlich der Sahara trotz mannigfaltiger individuellen Abweichungen noch immer von den Chinesen und den Japanern unterscheiden, die Ureinwohner Australiens von den Europäern und die wieder von den Inuit Grönlands und den Indios des Amazonasbeckens. Über eine lange Zeit hin hat man von Menschenrassen gesprochen, doch will das heute kaum noch jemand tun, zu tief sitzt die Abscheu vor dem, was in der Nazizeit mit entsprechenden „Argumenten“ passiert ist.
Auch noch lange Zeit nach Auschwitz und Lublin-Majdanek gab es (und gibt es) sonst wo in der Welt ähnlich gelagerte Auseinandersetzungen. In Südafrika z. B. den Widerstreit zwischen der ansässigen dunkelhäutigen Bevölkerung und den „weißen“ Europäern, die mit ihrer selbsterklärten Vorherrschaft bis in die neunziger Jahre hinein die berüchtigte Rassentrennung (Apartheid) betrieben haben. In den USA dauerten schlimmste Schwarz-Weiß-Konflikte bis in die 60iger Jahre des vorigen Jahrhunderts an, und Martin Luther King war es, der mit seiner berühmten Rede „I Have A Dream“ die Wende einleitete – eine eher unvollkommene Wende, wie sich zeigt. Auch sonst, wo immer die Interessen von Neusiedlern auf die der indigenen (lat. „eingeboren“) Bevölkerung stoßen, gibt es bis heute verdeckte oder offene Auseinandersetzungen rassistischer Art, gleich ob in Australien, in Amerika oder in den Ländern Afrikas oder Asiens.
Natürlich wäre das Einfachste zu behaupten, es gäbe keine Unterschiede
Die Anstrengungen, die zur Überwindung solcher Konflikte unternommen wurden und werden, sind gewaltig. Das Erreichte aber ist oft unvollkommen und meist auch nicht von Dauer. Natürlich wäre das Einfachste, dem Rassismus die theoretische Grundlage zu entziehen, indem man behauptet, alle Menschen seien gleich, biologische Unterschiede zwischen den geografischen Menschengruppen wären pure Erfindungen, und all das, was Menschen unterscheidet, sei von der rein sozialen Art. Eine solche Auffassung macht umso weniger Probleme, je ferner man den Naturwissenschaften steht. So sind unter sozialwissenschaftlich Operierenden solche Denkungsarten sehr verbreitet. Ihre Auffassungen könnten leicht zum Allgemeingut werden, wenn es da nicht die harten Fakten gäbe, die dagegensprechen, nämlich solche in Form von genetischen Unterschieden.
Sie sind zwischen den Bevölkerungsgruppen umso deutlicher ausgeprägt, je klarer und je länger diese in ihrer Entwicklung voneinander getrennt waren (Größenordnungen von tausenden und zehntausenden Jahren sind gemeint). Am besten untersucht wurden die medizinisch relevanten Unterschiede, z. B. Varietäten von Enzymen und molekularen Signalempfängern (Rezeptormoleküle), die Anfälligkeit gegenüber bestimmten Krankheiten, die Häufigkeiten gewisser Erbkrankheiten, die Medikamentenverträglichkeit oder die Verteilung von Blutgruppen. Es gibt wohl kaum ein gesundheitliches Problem, das alle Menschen ungeachtet ihrer Abstammung gleichermaßen betrifft. Selbstverständlich findet man biologische Unterschiede aber auch zwischen den Individuen innerhalb ein und derselben Bevölkerungsgruppe. Die genetischen Abweichungen sind im Einzelfalle oft viel stärker ausgeprägt als die durchschnittlichen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Und dennoch gibt es sie, diese allgemeinen Gruppenunterschiede.
Die Ignorierung und Bagatellisierung des Problems funktioniert nicht
Die Frage nun, will man auf den ideologisch beladenen Rassebegriff verzichten, wie dann die biologisch bedingte Unterschiedlichkeit zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen benennen? Wohlmeinende überschlagen sich geradezu in Vorschlägen zur Ignorierung und Bagatellisierung des Problems. Und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die UNO hat 1995 über die Unesco den Begriff „Rasse“ als „nutzlos“ deklariert. Bald danach verkündete die Vereinigung US-amerikanischer Anthropologen, von Rassen zu sprechen, entspräche einer „Weltsicht, die unsere Vorstellung von menschlichen Unterschieden und Gruppenverhalten entstellt“. Dabei wird sehr gern die behauptete biologische Gleichheit mit der Notwendigkeit der Gleichbehandlung in ein und denselben Topf getan. Im Untergrund, so scheint es herauf, lauert die Sorge, dass biologische Gruppenunterschiede etwas mit unterschiedlicher Wertigkeit zu tun haben oder zu tun haben könnten. Derlei Behauptungen gibt es zuhauf. Die Faktenlage ist dünn, entsprechende Untersuchungen sind sicherlich ideologisch beeinflusst und sollten aus ethischen Gründen geahndet werden. Wer dennoch meint, mit hohem Engagement immer wieder die biologische Gleichheit betont, macht sich allerdings aus gutem Grunde verdächtig, die Gleichwertigkeit zu bezweifeln, mit anderen Worten, ein verkappter Rassist zu sein.
Der Eifer im „Kampf gegen Rassismus“ geht mitunter so weit, dass Menschen hierzulande als Rassisten beschimpft werden, allein wenn sie sich gegen unkontrollierte Einwanderung wenden. Die Rassismusgegner unterstellen damit, dass es zwischen der Bevölkerung Deutschlands und der der Zuwanderer belangvolle genetische, sprich rassische, Unterschiede gibt, andernfalls wäre der Vorwurf ja gegenstandslos. Gewiss unbeabsichtigt, wenn auch höchst unbedacht, stellt man sich mit solchem Rassismusgerede auf die Seite der Nationalsozialisten, die ja sogar unser unmittelbares Nachbarvolk, das der Polen, zu einer eigenen Rasse erklärten. Nämlich zu einer von „Untermenschen“. Die mörderischen NS-Schergen behandelten unsere Nachbarn dann auch so.
In dieselbe Kategorie von Unwissenschaftlichkeit gehört die Zuordnung der Juden zu einer eigenständigen Rasse. Die Juden bilden eine über die ganze Welt verstreute Religionsgemeinschaft und verstehen sich am ehesten als eine eigenständige Ethnie [griech. ethnos – (fremdes) Volk]. Ähnlich sinnlos wäre es, von einer katholischen oder einer protestantischen Rasse zu sprechen, oder von einer buddhistischen, islamischen oder einer schamanischen. Nein, Ethnien sind hier gemeint, Bevölkerungsgruppen also, die sich in ihrem Selbstverständnis unterscheiden und das nicht auf Grund biologischer Besonderheiten, sondern allein wegen ihrer jeweiligen Kultur, Sprache, Geschichte, Wirtschaftsweise, ihres Brauchtums und dergleichen. Durch das von ihnen entwickelte Gemeinschaftsgefühl unterscheiden sie sich von anderen solchen Gruppen. Die Abgrenzung des Begriffs „Ethnie“ von dem des „Volkes“ oder der „Nation“ ist nicht einfach, oft eher künstlich. Auch hier lauern Probleme, indem es, ohne Rassenunterschiede herbeizuziehen, im Sinne eines Ethnozentrismus oder eben Nationalismus nicht selten zu Überlegenheitsfantasien kommt. Die Merkmale der eigenen Gruppe halten dann als Bewertungsgrundlage her, denen gegenüber die der Fremdgruppen als nachteilig ausgegeben werden. Die einstige begriffliche Verirrung der Nazis mit Bezug auf „Rasse“ wird nun heute in derselben irrigen Weise im Rassismusverständnis weitergetragen und findet Anwendung, wenn Fremdes erkannt und bezeichnet und zum Gegenstand von Ressentiments wird.
Die Furcht vor den Anderen sitzt in der Tiefe der Menschwerdung
Die Furcht vor den Anderen sitzt tief, denn Fremde könnten Böses im Schilde führen. Zu Zeiten der Menschwerdung war die Furcht vor Fremden ein wichtiges Überlebensprinzip, Arglosigkeit konnte rasch tragisch enden. Heute, im Zeitalter der Globalisierung und von Urlaubsreisen in ferne Länder, hat die Fremdenfurcht an Bedeutung verloren. Ja, sie ist großenteils nicht nur unsinnig geworden, sondern auch kontraproduktiv. Dennoch, die Fähigkeit, Angst zu produzieren, ist Teil unseres Erbgepäcks, was sich deutlich schon in der Kindheit zeigt. Entwicklungspsychologen sprechen von der Achtmonatsangst: Etwa in diesem Alter demonstrieren Kinder fremden Personen gegenüber zum ersten Male Furchtsamkeit, wiewohl sie in ihrem kurzen Erdendasein mit Unbekannten nie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Es handelt sich hierbei, wie bei sämtlichen anderen Gefühlsqualitäten auch, um eine rein subjektive Form des Erlebens, um sogenannte Qualia. Sie sind allesamt angeboren und nicht erlernbar. Allerdings haben Neugeborene die meisten dieser Erlebnisqualitäten noch nicht in ihrem Repertoire, so eben auch nicht das Angstgefühl, offenbar, weil die dafür zuständigen Hirnstrukturen im Laufe der nächsten Wochen und Monate erst ausreifen müssen. Bei Erwachsenen kann die Angst Fremden gegenüber psychopathologische Züge annehmen, nämlich wenn sie sich als objektiv unbegründet und krankhaft überwertig erweist. Dann spricht man von Xenophobie.
Die Politik hat die Vokabel „Xenophobie“ aus dem Wortschatz der Psychiater übernommen, wenn es um Haltungen zur Zuwanderung nach Deutschland geht, die sie nicht akzeptieren kann oder will. Politiker tun das, ohne zwischen Menschen mit psychiatrischen Problemen und solchen mit (zumindest vermeintlich) objektiv begründeten Befürchtungen zu differenzieren. Neben dem Rassismusvorwurf wird im gleichen Zusammenhang auch gern von „dumpfen Ängsten“ gesprochen, von Zuständen also, wie sie Patienten mit Angststörungen eigen sind.
Das Motiv liegt auf der Hand: Die Psychiatrisierung von Andersdenkenden wirkt wie ein Hammer. Am Ende sind es nur noch wenige, die sich getrauen, offen gegen die aktuelle Zuwanderungspolitik zu protestieren. Wer schon lässt sich gern als „Rassist“ beschimpfen, als rechtsextrem, als Mischpoke, als Pack, oder als Nazi gar? Zuhause natürlich und unter vorgehaltener Hand im Kollegen- und Bekanntenkreis wird kräftig diskutiert, mitunter auch nur bedeutungsschwer abgewinkt. Die Ostdeutschen fühlen sich an alte Zeiten erinnert, die eigentlich überwunden schienen. Jeder Einzelne möchte sich als vollwertiger Bürger geachtet wissen, und das eben auch mit all den doch wohl verständlichen Sorgen und Befürchtungen, wie sie die Willkommenspolitik ausgelöst hat.
Ist die Staatsführung anderer EU-Staaten weniger demokratisch?
Kaum jemand will in Frage stellen, dass Menschen, die vor dem Islamismus fliehen, dringend unserer Unterstützung bedürfen, auch wenn ihnen diese von ihren reichen muslimischen Nachbarländer verweigert wird. Allerdings eben nutzt diesen Weg auch der IS, um seine Angehörigen, Menschen von beispielloser Grausamkeit, bei uns einzuschleusen. Und, so fragt sich der „Angstbürger“, wie soll das mit der Einwanderung aus den nicht bedrohten Regionen weitergehen? Womöglich kommen da auch anderweitig gefährliche Menschen, warum wohl sonst gibt man uns keine entsprechend aufgeschlüsselte Kriminalitätsstatistiken zur Kenntnis? Selbst für den, der nicht die mindesten Ansätze zum Rassismus aufweist, stellt sich die Frage, wie lange es noch ein „deutsches Volk“ im Sinne einer relativ einheitlichen ethnischen Gruppe geben wird, wenn heute schon ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund hat (Erklärung der Bundeskanzlerin auf dem Deutschen Fürsorgetag im Juni 2015). Immerhin erhebt das Grundgesetz das deutsche Volk zum souveränen Träger der Staatsgewalt (Art. 20).
Und erst recht muss sich der Bürger, geduckt oder offen, fragen: Wenn die Immigranten bei der Durchsetzung unserer durch das Grundgesetz geschützten Prinzipien große und größte Probleme bereiten, wie steht es dann mit der Politik in den übrigen EU-Staaten? Ist deren Staatsführung, wenn sie von einem anderen Verantwortungsverständnis getragen wird, weniger demokratisch? Müssen solche Regierungen wegen ihrer Abschottung gegen Zuwanderer aus Sorge vor Überfremdung, vor zunehmender Kriminalität wie auch um den Geldbeutel ihrer Bürger und den Staatshaushalt nicht als „fremdenfeindlich“, ja als „rassistisch“ eingestuft werden, einfach dem hierzulande geübten Wortgebrauch folgend? Und wenn ja, können wir dann mit solchen Ländern überhaupt noch in einer Staatengemeinschaft leben?
Professor Gerald Wolf ist Hirnforscher und emeritierter Institutsdirektor. Er widmet sich in seinen Vorträgen und Publikationen und regelmäßig im Fernsehen (MDR um 11, Sendung „GeistReich“) dem Gehirn und dem, was es aus uns macht. Neben zahlreichen Fachpublikationen und Fach- und Sachbüchern hat er auch drei Wissenschaftsromane veröffentlicht.