Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
Gerald Wolf, Gastautor / 27.01.2021 /
Die da oben sind doch alle – ja was?
Die da oben sind doch alle... Nein, das sind sie eben nicht, das, was jetzt die meisten denken werden. Doof ist eher der, der so was denkt. Denn jeder, der oben ist, musste nicht nur klettern können, er muss auch clever sein. Man stelle sich den Klettersteig einer unserer beiden großen Parteien vor mit jeweils fast einer halben Million Mitgliedern. Wer doof ist, stürzt schon auf den ersten Metern, falls er überhaupt nach oben will. Je höher er klettert, um so verbissener kämpfen die Kumpane mit ihm um einen Platz, und nur die wirklich Fähigen schaffen es in die oberen Etagen. Klug müssen sie sein, keine Frage, aber nicht die Allerklügsten. Fast wichtiger noch scheint es, pfiffig zu sein, Verbindungen zu pflegen, zur richtigen Zeit an den richtigen Strippen zu ziehen und das Umfeld zu überzeugen, eher als der Mitbewerber in der Lage zu sein, der großen gemeinsamen Sache zu dienen. Und reden muss man können, überzeugen. Auch dann, wenn man nicht im Recht ist. Gerade dann.
In trauter Runde wars, da ging es mal wieder um die da oben, von wegen, ob die da nicht alle und so weiter. Da griff einer von uns nach einem Löffel und hielt ihn als Mikrofonersatz einem nach dem anderen vor die Nase, um sie, einen Interviewer mimend, in Sachen Politik zu befragen. Die meisten reagierten mit Feixen, einer sträubte sich zunächst, am Ende aber wollte sich keiner lumpen lassen. Und los ging’s. Doch nicht lange hin, da wurden die Antworten holpriger, und Ähs häuften sich. Rückgefragt, wie denn das oder jenes zu verstehen sei, wie zu präzisieren oder zu begründen, wurde das Lächeln immer verkrampfter. Eher früher als später winkte man ab, das Ganze sei eben nicht so ihr Gebiet. Okay. Ich selbst begann dann mit Fragen zu deren eigenem Fachgebiet. Von der Sache her sah das sehr viel besser aus, natürlich, oft aber haperte es mit der Verständlichkeit. Tja, wie etwas so erklären, damit das Gegenüber versteht, wie es zu verstehen ist? Allzumal fehlte es an rhetorischem Schwung.
Arrivierte Politiker und die Medienleute kommen da weit besser rüber. Weit, weit besser. Selbst dann, wenn sie auf dem Holzweg sind, entweder weil sie sich in den Fakten nicht auskennen oder einfach, um der vom Mainstream vorgegebenen Linie Tribut zu zollen. Oder beides. Politiker jeglicher Couleur von dunkelrot bis schwarz bleiben wortgewandt und überzeugend, auch wenn sie persönlich ganz anders denken mögen, als sie sprechen. Nein, doof kann man da nicht sein. Ganz im Gegenteil.
Der Geochemiker ist der Dumme
Stellen wir uns vor, in einer öffentlichen Diskussionsrunde ginge es um den Zusammenhang von CO2 und Erderwärmung. Nach den üblichen gut eingefahrenen Argumenten bis hin zur Warnung vor der Klimakatastrophe bringt einer der Teilnehmer die Frage auf, ob denn das CO2 nun tatsächlich die Ursache oder vielleicht doch eher die Folge der Erderwärmung sei. Verblüffung, diese Frage war mit der Veranstaltungsleitung nicht abgestimmt. Die Moderatorin erkundigt sich, wie er das denn meine. Nun, so die Antwort, die Anreicherung der Atmosphäre mit CO2 wäre, ganz klar, die natürliche Folge einer allgemeinen Erwärmung. Aber könne sie auch deren Ursache sein? Wieso, entrüstet sich eine Teilnehmerin, Mitglied einer längst etablierten Partei, was denn das heißen solle!
Der erste wieder, sie möge sich einmal vorstellen, sie setze ein Gefäß mit kaltem Sprudel auf eine Herdplatte und erwärme diese. Was passiert? Die prompte Antwort: Das könne sie sich nicht vorstellen, weil sie grundsätzlich stilles Mineralwasser bevorzuge. Das Publikum lacht, Sympathie schwingt mit. Der Fragesteller macht weiter und behauptet, bei einer Erderwärmung würden – so wie das CO2-haltige Mineralwasser auf der Herdplatte – sämtliche Gewässer das in ihnen gespeicherte CO2 ausgasen, die Ozeane, Seen und Sümpfe, auch der Boden. Mit steigender Temperatur nehme die Löslichkeit für Gase bekanntermaßen ab und daher …
Die Diskussionspartnerin winkt ab, wiegt zweifelnd den Kopf, und die anderen in der Runde wiegen zweifelnd mit. Das bringt den Fragesteller in Harnisch, und er setzt fort, die Rolle, die CO2 als Klimafaktor neben so vielen weiteren und weit wichtigeren spiele, sei außerordentlich verwickelt. Ohnehin gingen gerade einmal drei bis fünf Prozent der CO2-Produktion auf den Menschen zurück, und sogar ein Abkühlungseffekt wäre möglich. Man brauche nur das Stefan-Boltzmann-Gesetz herzunehmen. Im Publikum gelangweiltes Stöhnen, und nach einigen Erläuterungen beginnt man in der Runde zu grienen.
Die Moderatorin winkt ab und meint, das alles sei sicherlich sehr interessant, aber die hier aufgeworfenen Fragen zu diskutieren, fehle die Zeit. Im Übrigen, betont einer in der Runde, wären sich ja 97 oder gar 100 Prozent der Experten einig, und zwar weltweit, dass das CO2 die Ursache für die Erderwärmung ist, die Ursache also und nicht die Folge. Und, gibt die Politikerin von vorhin dazu, mithin der Mensch! Bescheid wissend und klug kommt es von ihr. Die Diskussionsrunde strahlt, auch das Publikum wirkt erleichtert. Nur der eine nicht. Nicht doof ist er, ganz und gar nicht, aber der Dumme. Als Geochemiker wurde er vorgestellt.
Details, igitt!
Gleich ob Finanzen, Corona oder Gender-Fragen, ob Natur- und Landschaftsschutz, Probleme mit den Flüchtlingen oder Alltäglichkeiten in den Kreisen und Gemeinden – im Konkreten sind es Verwaltungsleute, die sich darum zu kümmern haben. Darüber aber, über ihnen, wachen die Politiker, die der einzelnen Ressorts. Fachleute eher nicht. Wenn überhaupt, werden sie fast immer nur dann herangezogen, um zu bekräftigen, was die Politiker zu den jeweiligen Fragen sagen oder sagen wollen. Dann auch werden die Fachleute, allzumal solche der gefälligen Art, gern als Experten gehandelt. Unter hunderten und tausenden anderen nicht minder Kompetenten sind das immer nur einige wenige.
Die anderen werden sorgfältig beiseitegeschoben, sofern über ihre Loyalität Unsicherheit besteht. Sie könnten ja mit ihren Ansichten im Volk Verwirrung stiften. Absolutes Auftrittsverbot, wenn sie mit ihren Sprüchen im Widerspruch zum Mainstream stehen. Und diesen gebären Minderheiten, oft nur einzelne Köpfe. Sache nachgeordneter Strukturen ist es dann, das, was da herausrinnt, so zu pflegen und zu kanalisieren, dass es für die Massen wirksam wird. Diskurse, die mit den von da oben gepflegten Auffassungen ins Gericht gehen, müssen, weil brandgefährlich, unter allen Umständen verhindert werden. Gefühlte vier Fünftel der Bevölkerung mögen ohnehin keine Debatten und nehmen das, was sie zu den jeweiligen Themen über die staatsnahen Medien erfahren, als Wahrheit hin. Die meisten interessieren sich ohnehin nicht für Politik, tun könne man eh nichts und außerdem, was soll’s?
Gleich ob Mitglied in Regierungs- oder Oppositionsparteien, die an der Spitze der Gesellschaft sind klug genug, Mühen zu vermeiden, wenn sie ihnen nichts bringen. Schade um die Zeit. Denn die lässt sich weit einträglicher für anderweitige Tätigkeiten nutzen, zum Beispiel für solche in Verwaltungsräten. Warum auch sollten sie sich, wenn es um den Klimaschutz geht, mit Mühe und viel Zeit erarbeiten, was da irgendwelche Klimatologen über den Einfluss der Sonnenaktivität herausbekommen haben? Sich gar in die Infrarot-Spektroskopie der atmosphärischen Gase hineindenken? Das CO2 ist es, sagen ja alle, und gut. Was auch kümmern die Politiker die Stickoxidsynthasen in unseren Zellen und die körpereigene Stickoxidproduktion, wenn es um die Stickoxide in der Stadtluft geht? Und entsprechende Fahrverbote bis hin zur Drosselung unser Kraftfahrzeugindustrie.
Oder warum sollten sich unsere Politiker Gedanken machen um den Zusammenhang zwischen staatlich geförderten Energiepflanzen-Monokulturen und dem Verschwinden der heimischen Lurche und Reptilien und dem hunderter Schmetterlingsarten? Nein, das ist jeweils Sache von anderen. Ebenso die Bevölkerungsdynamik in unseren Städten und deren Folgen, die Trends unserer wirtschaftlichen Entwicklung, das Ansehen unserer Wissenschaft in der Welt, die schulischen Leistungen unserer Kinder, die Kosten und die Sicherheit unserer Energieversorgung. Oder was hat die Politiker auf den Bänken in den Parlamenten im Einzelnen die Ethnik der Kriminalität oder unsere Staatsfinanzen zu kümmern.
Doof sind die anderen
Nein, nicht diese Einzelheiten, den Politikern genügt das Ungefähre. Für das Spezielle gibt es nun mal die Spezialisten. Und deren Ergebnisse zu verstehen, braucht es wiederum Spezialisten, nicht Politiker. Nur die Politik, die am Ende herauskommt, beziehungsweise herauskommen soll, ist Sache der Politiker. Schön dumm wären sie (um nicht „doof“ zu sagen), wollten sie für Fehlentscheidungen die Konsequenzen tragen. Etwa, weil diese zu vermeiden gewesen wären, hätten sie sich genügend informiert, gar auf unbequemen Wegen über Details. Apropos Konsequenzen, sie tragen zu helfen, hieße für die Politiker, mit ihren Familien – allen anderen voran – in Gegenden zu ziehen, die vorwiegend von Flüchtlingen bewohnt sind, von jenen, für die sie Tür und Tor öffnen lassen.
Auch müssten sie ihre Kinder auf staatliche Schulen schicken, wo sie zusammen mit den Problemkindern zu lernen haben. Oder gar lernen, was es mit den „Infektions“-Zahlen auf sich hat, wie das mit dem PCR-Nachweis der Coronavirus-RNA läuft, und was er aussagt und was nicht? Und wenn sich dann doch ein Politiker, ein studierter Kommunikationswissenschaftler vielleicht, tage- und nächtelang hinsetzt, um (Achtung, langer Satz, symbolhaft für die Länge eines solchen Studiums!) die Grundlagen der Nukleinsäure-Biochemie zu bimsen und schließlich zu erfahren, dass es im menschlichen Organismus eben doch reverse Transkriptasen gibt – Enzyme, die an einer verimpften Virus-RNA entlanggleiten, um nach deren Muster DNA zu synthetisieren, die in der Lage ist, sich in unser Erbgut einzufügen. Und, was hat er davon? Nichts. Falls er damit laut wird, Ärger. „Schön doof!“, werden dann die meisten im Volk denken.
Nein, doof sind sie nicht, die da oben. Eher die anderen.