****       Sapere aude!        ****        
                 
Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
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 Man muss nur wollen. Oder auch nicht
Prof. Dr. Gerald Wolf


Einen Willen zu haben, ist das eine, willenlos zu sein das andere. Willenlos, das ist man während einer Ohnmacht oder als Opfer von k.-o.-Tropfen. Umgekehrt kann Willen verordnet werden, am erfolgreichsten per Diktat. So geschehen in der Corona-Zeit. Da wollten viele nicht geimpft werden, mussten aber wollen. Sonst hätten sie ihre Arbeitsstelle verloren, ihre kranken oder gar sterbenden Angehörigen nicht besuchen dürfen, oder ihnen wurde der Zutritt für Kinos und Theater gesperrt. Die Impfschäden hingegen, die wollte keiner. Auch wollten die Offiziellen nichts von Impfschäden hören, mussten aber und müssen das immer drängender. Manche von ihnen hören die Handschellen klicken, wollen aber nicht.
Solange man nicht darüber nachdenkt, was Willen ist, erscheint er einem als etwas ganz Normales. Das hört sofort auf, falls man fragt, wo denn der Sitz des Willens ist und wo der des Nicht-Wollens. Im Herzen vielleicht? Denn wenn es heißt, etwas „von ganzem Herzen“ zu wollen, dann sollte der Wille ja auch seinen Sitz dort haben. Zum Beispiel wenn ein Paar heiraten will, und das gegen massiven Widerstand. Oder wenn jemand herzlich gern dem Freund, der Freundin aus der Patsche helfen oder dem Chef mal ordentlich die Meinung geigen will. Also doch das Herz? Dann aber müsste bei einer Herztransplantation auch der Wille des Spenders mitverpflanzt werden. Das jedoch passiert nie. Und warum? Gerade mal eine Blutpumpe ist das Herz und, im Nebenjob, der Produktionsort für das atriale natriuretische Hormon, das den Salz- und Wasserhaushalt zu regulieren hilft. Wenn das Herz also nicht für die Willensbildung zuständig sein kann, so kommt es doch für die Projektion dieses Gefühls in Frage. Es schmerzt beim Versagen eines Willens und, andernfalls, hüpft es vor Freude. Beim Phantomschmerz wird das Prinzip der Gefühlsprojektion ganz deutlich. So können Menschen, denen ein Arm amputiert worden ist, klar umrissen in der fehlenden Hand Schmerzen empfinden.


Wille ist Hirnsache, nichts sonst
Alle möglichen Organe können durch eine Transplantation ohne Konsequenzen für die Willensbildung ausgetauscht werden, nur das Gehirn nicht. Und auch nur dieses Organ kommt als Sitz des Willens und des ihm zugrundeliegenden Ich-Empfindens in Frage. Aber wo genau ist dieser Sitz? So sehr man bisher auch suchte, nichts von der Art eines entsprechenden Zentrums wurde gefunden, geschweige denn so etwas wie eine präsidiale Nervenzelle, die für die Willensbildung zuständig wäre. Funktionszentren gibt es so einige im Gehirn, aber immer nur für einfachere Aufgaben. Je komplexer eine Hirnfunktion ist, umso weniger kommt eine begrenzbare Lokalisation in Frage. Geschweige denn eine punktuelle. Die bunten Hirnkarten, die sich mit speziellen bildgebenden Verfahren (funktionelle MRT, Brain Imaging) erzeugen lassen, machen zwar den Eindruck, als handele es sich hierbei jeweils um farbig abgegrenzte Funktionsbezirke. Doch täuscht dieser Eindruck. Jeder Bildpunkt besteht aus …zig oder aus hunderten und gar aus tausenden verschiedenartigen Nervenzellen und aus noch weit vielfältigeren Verbindungsbahnen und funktionellen Kontaktstellen, Synapsen genannt. Eine ins Einzelne gehende Analyse wäre vonnöten, übersteigt aber bei weitem nicht nur die praktischen Möglichkeiten, sondern auch die theoretischen. Und das wegen der „überastronomisch“ hohen Komplexität bis in alle Ewigkeit.
Der US-amerikanische Hirnphysiologe Benjamin Libet (1916 - 2007) ist ganz anders an die Frage nach dem Willen und dessen „Sitz“ im Gehirn herangegangen. So simpel seine Experimente zur Orts- und Zeitbestimmung scheinen mögen, zeigten auch sie, dass die Sache mit dem Willen und dessen Freiheit höchst vertrackt ist. Schon die Antwort auf die Frage ist es, ob unsereiner frei ist in der Entscheidung, was man will und warum überhaupt und zu welchem Zeitpunkt das Ich dies entscheidet. Libets Experimente scheinen das Empfinden eines freien Willens als bloße Illusion nahezulegen.


Die Freiheit des Willens, eine Illusion?
Die Versuchspersonen hatten den Auftrag, in einem Zeitraum von 10 Sekunden einen bestimmten Finger zu heben. Wann genau, war ihnen überlassen. Nur mussten sie sich anhand eines schnell umlaufenden Zeigers merken, zu welchem Zeitpunkt sie den Finger heben wollten. Über Elektroden, die auf der Kopfhaut angebracht waren, wurde ein sogenanntes EEG (Elektroenzephalogramm) aufgezeichnet. Damit ließen sich die Signale registrieren, die von der für die Fingerbewegung zuständigen Hirnregion ausgesendet werden. Erwartungsgemäß gingen diese Signale dem Anheben des Fingers voraus. Wie die Messungen ergaben, um etwa eine fünftel Sekunde. Und diese Signale sollten, so die anfängliche Vermutung, mit der Entscheidung „Jetzt will ich!“ zusammenfallen. Das aber stimmt nicht! Etwa eine drittel Sekunde vor dem „Jetzt will ich!“ gingen von einer vorgelagerten Hirnregion sogenannte Bereitschaftspotenziale aus, und das blieb, wohlgemerkt (!), von den Versuchspersonen gänzlich unbemerkt!
Die Schlussfolgerung: Nicht ich entscheide, was ich und wann ich etwas will, sondern eine Hirnregion, von der ich nichts weiß! Von anderen Forschern wurden die Libetschen Experimente nachgestellt, zum Teil auch verändert. Zum Beispiel derart, dass die Versuchsperson aufgefordert wird, sich in dem genannten Zeitraum zu entscheiden, ob sie eine Taste auf der linken oder auf der rechten Seite drücken will. Herauskam im Wesentlichen immer wieder eine Bestätigung der früheren Ergebnisse.
Mittlerweile gibt es Befunde, die aufgrund von Blutflussveränderungen im Gehirn eine weitere Interpretation zulassen: Je stärker sich die Versuchsperson auf das Wann der Ausführung konzentriert, desto größer ist die zeitliche Kluft zwischen dem Wollen und der Ausführung und umso mehr rückt die Ausführung an die Entstehung der Bereitschaftspotenziale heran. Am Ende möglicherweise so weit, dass das, was wir als den Willen empfinden, etwas Bestimmtes zu tun, mit der Entstehung der unbemerkt bleibenden Bereitschaftspotenziale zusammenfällt.


Nicht ich bin es, nein, mein Gehirn ist es!
Die Aufregung ob solcher Erkenntnisse ist groß. Die Debatten führen bis zu der Behauptung, kein Mensch könne für das verantwortlich gemacht werden, was er tut oder lässt. Denn das setze ja die Freiheit des Willens voraus. Diese aber sei durch die Neurophysiologie in Frage gestellt. Ein Grundsatz des Strafrechts ist, eine Täterin oder ein Täter hätte sich ja auch anders verhalten und so die Straftat vermeiden können. Hätte sie, hätte er? Warum, so muss man sich dann fragen, haben sie sich denn nicht anders verhalten? – Ganz einfach, so die Antwort der einen Seite, weil es ihr Gehirn nicht anders gewollt hat. Allerdings, und das ist der Punkt, würde eine solche Entschuldigung unsere gesellschaftliche Ordnung vollständig aushebeln. Denn wo bleibt dann die Schuldfähigkeit? Alles wäre erlaubt, Nachsicht immer einforderbar und das selbst bei ausgesprochenen Missetaten!
Was macht denn unser Gehirn noch so alles mit uns? Dazu einfach mal hingesetzt und abgewartet, was dann geschieht! - Zunächst nichts. Wenn nichts mit uns passiert, dann wohl auch nichts in unserem Gehirn. Oder nicht viel. Eine Weile gucken wir uns weiter zu. Da fällt unser Blick auf die Schale mit den dragierten Erdnüssen. Einen halben Meter entfernt, da auf dem Tisch. Nein, wir wollen uns davon nicht ablenken lassen, wir wollen einfach nur vor uns hindenken. Also doch ein Wille, selbst dann, wenn wir nichts wollen?
Ewig halten wir das Nichtstun nicht aus. Denn wir wollten doch die Freundin anrufen, den Freund. Soeben war nach einigem Rumpeln die Waschmaschine zum Stillstand gekommen, die Wäsche muss raus und aufgehängt werden. Auch ein Blick in den Briefkasten sollte sein, in die Zeitung, ein anderer nach dem Wetter. Das Brot geht zur Neige, auch die Butter, der Weg zum Supermarkt winkt. Dort gibt es die Tiefkühltruhe mit diesem herrlichem … - Ach Gott, wurscht, Schluss mit der Rumsitzerei! Zuvor aber noch diese eine Überlegung: All das, was es nun zu wollen gibt, hatte es auch zu Beginn des Selbstversuchs gegeben. Warum macht man jetzt damit Schluss und nicht anderthalb Sekunden später oder früher? Was ist das in uns, dass da sagt „Jetzt!“?
Und bei Tieren? Eine Fliege sitzt bewegungslos an der Fensterscheibe. Aber nicht bis in alle Ewigkeit. Irgendwann fliegt sie auf, auch ohne den geringsten äußeren Grund. Warum fliegt sie jetzt auf, fragen wir uns, und nicht anderthalb Sekunde später oder früher? Verfügt ein Tier, selbst wenn es von der Art einer Fliege ist, auch über so etwas wie einen eigenen Willen? Und wenn, dann erst recht ein Hund oder ein Sperling. Auch ein Wasserfloh? Oder gar eine einzelne Zelle, zum Beispiel eine nach Art eines Pantoffeltierchens. Bald schwimmt es dort hin, bald da hin, dreht sich, taucht ab, hernach schwimmt es wieder zur Oberfläche. Alles, als sei es willentlich gesteuert. Als Einzeller hat das Pantoffeltierchen zwar kein Gehirn, dennoch verhält es sich, als ob es willentlich bestimmten Reizen ausweicht und sich anderen nähert. Wie das? Keiner weiß es.


Was sagt die Wikipedia zum Willen, was Schopenhauer, was sagen wir heute?
Zu „Wille“ heißt es bei Wikipedia (Kapitel Rechtswissenschaft/Allgemeines): Der Wille ist das Ergebnis des vorangegangenen Prozesses der Willensbildung. Wille ist die Fähigkeit von einer Person, sich für ein bestimmtes Verhalten zu entscheiden.[8] Die Willenserklärung als zentraler, sich mit dem Willen befassender Rechtsbegriff des Zivilrechts zeigt, dass mit einem Willen stets auch eine Erklärung verbunden sein muss, um rechtserheblich zu wirken.[9] Friedrich Carl von Savigny stellte 1840 heraus: „Eigentlich muss der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden, und nur weil er ein inneres unsichtbares Ereignis ist, bedürfen wir eines Zeichens, woran er von anderen … O Gott, so einfach und doch nicht verstehbar! Weder da noch sonst wo findet man hier unter „Wille“ auch nur einen einzigen Bezug zum Gehirn. Also kann es wohl so wichtig nicht sein, das Gehirn. Könnte man meinen.
Dass der außergewöhnlich kluge Arthur Schopenhauer (1788-1860) in seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“ keinerlei Bezug zum Gehirn aufweist, mag der frühen Zeit geschuldet sein, in der er gelebt und gedacht hat. Auch in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ macht er sich mit Hirnforschung nicht gemein. Obwohl Hippokrates von Kos (ca. 460–370 v. Chr.) in der ihm zugeschriebenen Sammlung Corpus Hippocraticum das Gehirn bereits als Sitz der Empfindung und Intelligenz vermutet hatte und meinte, dass die bislang als „heilig“ angesehene Epilepsie eine Krankheit des Gehirns sei. Erste Autopsien wurden zur Zeit des Herophilos von Chalkedon (um 325–255 v. Chr.) möglich. Dennoch ist man bis in die Jetztzeit dem Wunder Gehirn nur in einigen Ansätzen nahegekommen. So intensiv daran geforscht wird, da ist nirgendwo auch nur ein Ansatz für die Tiefenerkenntnis gegeben, wie in dem Verbund von 80 bis 100 Milliarden Nervenzellen eines menschlichen Gehirns so etwas wie Wille generiert wird. Andererseits weist das weltweit operierende Recherche-Organ PubMed allein für das Jahr 2023 unter dem Begriff „brain“ 112 567 wissenschaftliche Arbeiten (sog. „papers“) aus. Um sie alle zu kennen, müsste ein Hirnforscher pro Tag 308 solcher Veröffentlichungen studieren!


Der Wählerwille: Auf unser aller Nägeln brennt die Frage (zumindest sollte sie das), wie denn der Schwund des Bildungs- und Leistungswillens in unserer Gesellschaft zu erklären ist, und wie er behoben werden kann. Die Hirnforscher vermögen dazu nichts beizusteuern. Das müssen andere Leute. Und die auszuwählen ist Sache des Wählerwillens.

Wir sind das Volk! - Ähm, wer?
Prof. Dr. Gerald Wolf


Das Wörtchen „wir“ sagt sich leicht dahin, wer aber gehört zum WIR, wer nicht, wer konkret und wer im großen Ganzen? Diesen Fragen hatte sich kürzlich unser Bundespräsident Steinmeier gestellt, dazu ein Buch geschrieben und einen ganzseitigen Zeitungsartikel:
„Die Möglichkeit, ‚wir‘ zu sagen. Patriotismus in unserer Zeit“ (F.A.Z., 15.4.2024).
In dem Artikel wartet der Bundespräsident mit weitgreifenden Überlegungen auf, die darin gipfeln, dass das mit dem WIR so einfach nicht ist. Und schon gar nichts damit zu tun hat oder kaum etwas, ob man in den Grenzen Deutschlands geboren ist, hier schon länger lebt oder erst seit kurzem, ob man die hiesige Sprache spricht oder nicht oder kaum. Vielmehr, so ist der Bundespräsident beim Studium seines Aufsatzes zu verstehen, muss man das WIR einfach nur wollen. Es ist nicht etwa, wie früher, durch den Begriff „Volk“ zu ersetzen, das sagt ein aus 15 Zeilen bestehender, sehr schwer zu begreifender Satz. Und dann: Vorsicht sei gegenüber Menschen geboten, die auf eine mehr oder weniger geschlossene Herkunftsgemeinschaft setzen (wen wohl wird der Herr Bundespräsident damit meinen?). Denn diese Art der WIR-Bestimmung wäre ein für alle Mal vorbei. Allerdings hat man als Leser den Eindruck, dass der Autor des Artikels mit dem WIR selbst seine Probleme hat und über weite Strecken hin eher Ratlosigkeit als eine Lösung des Problems zu bieten hat. So ziemlich zum Schluss heißt es bei ihm: „Mit gemeinschaftlicher Freude, wo uns in und mit Europa ein besseres Land gelingt, und mit dem ruhigen Selbstvertrauen, dass auch wir in der Welt ein gutes Land und ein Beispiel sein können.“ - So einfach ist das!
Doch die Frage nun: Wer gehört nicht zum WIR, wer sind die Anderen, die Fremden? Gibt es die überhaupt? Und der Herr Bundespräsident selbst - frühzeitig wurde Frank-Walter Steinmeier politisch aktiv und erfolgreich - ist er typisch für dieses WIR“? Gehört er überhaupt zu uns, zu uns hier unten, oder ist er von einem anderen WIR, dem WIR von denen da oben? Wenn, wie einst zur Wendezeit, von den Demonstranten gerufen würde: „Wir sind das Volk“, fühlte sich Herr Steinmeier heute angesprochen oder eher ausgeschlossen?


Wir hier unten

Hier in unserer Familie, hier leben wir das WIR. Auch für den Freundes- und den Kollegenkreis gilt das. Ähnlich im Fußball-Club oder bei den Briefmarkensammlern oder den Hobby-Botanikern. Allerdings knirscht es manchmal, hier wie dort. Und das ist ja auch gut, denn immerzu eitel Freude, ständig Gleichklang, nie Kontroversen – nein, ab und zu mal ein Gewitter, eines in der reinigenden Form, das tut not.
Ohnehin gehören alle Menschen dieser Erde ein und derselben Art an. „Homo sapiens“ nennen wir uns, svw. „kluger, weiser Mensch“. Zugleich haben wir allen Grund, uns als „Homo sociologicus“ zu bezeichnen, nämlich als durch Gesellschaftlichkeit geprägte Wesen, als solche nicht zuletzt auch biologisch determiniert. Alle Affenarten sind das, viele Huftiere, die Schwarmfische. Gleich ob in den politischen Ordnungsgefügen oben oder unten rangierend, wir sind ein WIR. Gemessen an der Endlichkeit unserer individuellen Leben gehören all die Querelen im Miteinander in den Luxusbereich unseres Daseins. Ebenso das Oben und das Unten, zumal es sich oben oft schwerer stirbt als unten. Wozu überhaupt das Oben und das Streben Einzelner hinauf in die höheren, nach Möglichkeit in die höchsten Etagen? In allen menschlichen Sozietäten findet sich dieser Drang, gleichviel ob bei den Ovambos in Namibia oder in unseren politischen Parteien.


Wir auf Neuguinea
Die Insel ist politisch in Hälften geteilt, die eine Hälfte - Westguinea zu Indonesien gehörig - verfügt nur an der Küste über Straßen. Keine führt in das Innere. Zwar finden sich hier Siedlungen nach Art der westlichen Zivilgesellschaft, sie sind aber nur per Flugzeug zu erreichen. Wamena zum Beispiel. Hier gibt es Häuser, Straßen und Autos, doch selbst der Straßenasphalt muss eingeflogen werden. Eine Weile ist es her, da drang ich, der Autor, als Einzelner bis in den Randbereich von Wamena vor (KOMPAKT „In die Steinzeit düsen“, 2. Ausgabe Mai 2019) und erlebte dort das, wovon ich bisher nur gelesen hatte: Großfamilien, die von denen der Nachbarschaft streng isoliert sind. Kontaktversuche können schnell tödlich enden, Stammesfehden sind gang und gebe. Ich hingegen hatte damit keine Probleme, ich wurde von einem Marktbesucher Wamenas in einen solchen Stamm eingeführt und dort recht freundlich begrüßt. So erfuhr ich, wie streng das hier mit dem WIR geregelt ist. Der Bundespräsident Steinmeier fände bei diesen Menschen mit seinen Ansichten keinerlei Akzeptanz. Droht, fragt man sich, bei einer derartigen Isolation nicht Inzucht, Fortpflanzung durch Blutsverwandte? Tatsächlich würde eine solche Gesellschaft nicht lange existenzfähig sein. Dagegen ist seit jeher Ein Ausweg im Spiel: Wenn junge Männer im heiratsfähigen Alter sind, werden sie gezwungen, sich eine Frau aus der Nachbarschaft zu rauben. Lebensgefährlich ist das, aber lebenserhaltend. Denn nicht allzu lang hin, dann ist die junge Frau integriert, allemal sind das beider Kinder. Dann wird aus dem Fremdsein ein WIR.


Hallo Fremder!
Zwar ist das bei uns mit dem Wir weit großzügiger geregelt, dennoch haben auch wir es nicht mit einem grenzenlosen Einerlei zu tun. So fällt es den meisten bereits schwer, irgendjemanden ohne ersichtlichen Grund anzusprechen. Okay, nach der nächsten Tankstelle kann man fragen, nach einem Café, einem Supermarkt. Da weiß jeder, der ist fremd und braucht Hilfe. Anders, wenn man hier weder fremd ist noch Hilfe braucht und mit einem x-beliebigen Anderen nur eben mal paar Worte wechseln will. Möglichst gekonnt, also nicht: „Ach das Wetter heute, es ist besser als gestern. Nicht wahr?“ Man möchte sich aber auch nicht der Gefahr ausliefern, dass sich der Angesprochene, dankbar berührt, über sein ganzes Leben verbreitet, inklusive seine Krankheiten. Delikat auch, wollte sich ein einzelner Herr einer ihm fremden Dame per Gespräch andingen. Es sei denn, sie ist bedeutend älter als er. Oder jünger. Auch dann besser nicht. Ebenso wird sich eine Dame hüten, durch allzu große Offenherzigkeit in ein falsches Licht zu geraten.
Tja, wie denn nun? Wie würde sich der Herr Bundespräsident hierbei anstellen, verkleidet natürlich, unkenntlich? Sollte er auf der Straße einen x-beliebigen Menschen einfach mit „Hallo!“ ansprechen und ihm dann bedeuten: „Wir, Sie und ich, wir sind ein WIR. Sie müssen das nur wollen!“


Der beflügelnde Hund
Führt die andere Seite einen Hund mit sich, wird es einfacher:
„Ach“, sagen Sie der Dame, die da mit dem Weimaraner des Weges einherkommt, „ist das nicht mein Hund?!“
„IHR Hund?“, kommt entrüstet die Antwort. „Es ist mein Hund, mein Rolf-Dieter!“
Sie halten Rolf-Dieter zur Prüfung die Hand hin. Doch Vorsicht, besser die Rückseite! Ein wunderschöner Kerl übrigens. Rolf-Dieter schnuppert, schließlich leckt er an Ihrer Hand, ein wenig. Sie triumphieren: „Sehen Sie!“
„Das kann doch nicht wahr …“
Der Dame verschlägt es die Sprache, und sofort beruhigen Sie: „Nein, nein, nur ein Scherz war das. Ich mag einfach Hunde und kann nur schwer an ihnen vorübergehen. Zumal an einem so schönen“.
Die Besitzerin atmet wieder frei. Und lächelt. Sie setzen noch eins drauf, ebenfalls lächelnd:
„Im Ernst jetzt, ich würde Ihnen den Kerl gern abkaufen. So ein schönes Tier!“
Erneute Entrüstung. „Abkaufen, meinen Rolf-Dieter!? Nein und abermals nein. Nie!“
„Aber Sie wissen doch gar nicht, wieviel ich …?“
„Nie und nimmer!“
Und wieder lachen Sie, und nun lacht auch die Dame mit. Aus dem beiderseitigen Sie ist ein WIR geworden.


Auch eine Zigarette tut’s.
Man sieht jemand rauchen, schlendert auf die Dame, auf den Herrn zu, eher etwas schüchtern als forsch, und weist mit Freundlichkeit darauf hin, dass die Atmosphäre durch Rauchen zusätzlich belastet wird. Durch CO2. Entrüstung auf der anderen Seite, von wegen wieso, ähm, … und was bilden Sie sich denn …? Sie winken freundlich ab und sagen, das Ganze ließe sich hinbiegen, wenn man Ihnen einen dieser Glimmstängel verkaufen wollte. Dazu präsentieren Sie einen Euro auf der Handfläche und sagen auf ein großzügiges Abwinken hin, das wär‘s ja noch gar nicht ganz, sie brauchten dazu auch noch Feuer. Niemand, der raucht, mag da widerstehen. Sie ernten ein erlöstes Lächeln und ziemlich gewiss: „Kein Geld, bitte“! Dem ist nun ihrerseits zu widerstehen, von wegen Schnorren brächte Unglück, unbedingt möchten Sie doch bitten … Das wird im Allgemeinen hingenommen. Nach der Transaktion warten Sie noch mit dem Tipp auf, es mit der Raucherei besser ebenso zu halten. Erstens qualmt man weniger und, zweitens, lerne auf diese Weise nette Leute kennen. Das Eis ist gebrochen und ein Wir entstanden.
Nach eigener Erfahrung funktioniert das Kaufen einer einzelnen Zigarette kaum jemals bei einem der „Geflüchteten“, gleichviel ob er aus Syrien, aus Kurdistan oder aus Marokko stammt. Das ist, wie es scheint, nicht mit deren Grundsätzen zu vereinbaren. Außerdem mögen es die Fremden genießen, einmal einen aus dem Gastgeberland freundlich bittend zu erleben. Wenn dieser dann nach dem Woher und nach der Familie fragt, fehlt nicht viel, und man wird nach Hause eingeladen. Ein neues WIR ist entstanden.


Das WIR der Kleinen und das der Großen
Soziale Fähigkeiten entwickeln sich bereits während der ersten Lebensjahre. Und mit ihnen das WIR-Gefühl und das Freund-Feind-Verhalten. Die kognitiven Leistungen reifen langsamer. Deutlich macht das der Umgießversuch: Erst mit dem 5. oder 6. Lebensjahr wird erkannt, dass sich beim Umgießen von Wasser aus einem breiten Gefäß in viele kleinere, hohe Gefäße am Volumen nichts ändert.
Gleich ob Sozialität oder Intelligenz, immer sind sowohl genetische Faktoren als auch Lernprozesse im Spiel. Im Kindesalter werden genetisch gesteuerte Hirnreifungsvorgänge unter fortschreitender Verschaltung der Nervenzellen mit den Erfahrungen in der Umwelt so verquickt, dass ein hoher Individualitätsgrad resultiert. Selbst bei eineiigen Zwillingen ist das so, die bekanntlich über ein und dasselbe Erbgut verfügen. Auch Programme, die für das WIR-Empfinden sorgen, gehören dazu. Erfahrungen mit den Geschwistern und den Kindern aus der Nachbarschaft oder der Kinderkrippe spielen dabei herein. Auch, bitte schön, Handgreiflichkeiten. Die sozialen Erfahrungen setzen sich fort über das Schulalter und die Jugendzeit bis hin zur Gründung einer eigenen Familie. Auch am Lebensende lernt man noch hinzu.
Das Ausmaß der Erfahrungen im gesellschaftlichen Umfeld ist nicht zuletzt beruflich begingt und mag bei Politikern besonders groß sein. Schon aus Image-Gründen liegt bei ihnen der Akzent auf dem WIR. Dabei fragt man sich, gilt der WIR-Appell des Bundespräsidenten auch für dessen Privatleben? Zum Beispiel, wenn es um die Integration von Geflüchteten geht. Reden die Politiker nur über Integration und stellen dazu mit mehr oder weniger Erfolg die Weichen in der Verwaltung, oder sind sie auch zu persönlichen Konsequenzen bereit? Bandeln sie mit Zugewanderten, ihrem Herzen folgend, eben auch einfach mal so auf der Straße an? Laden sie diese zu sich nach Hause ein oder, anders gewendet, sind sie wirklich gern bereit, deren Einladung zu folgen? Begrüßen es unsere Politiker, wenn deren Kinder und Enkel zu den bislang Fremden familiäre Bindungen eingehen? Oder ist das mit der Integration womöglich nur Gerede, nur Getue für die Öffentlichkeit? Und zur Seite unserer Gäste gewandt, wollen diese überhaupt das WIR mit uns? Mit allen Konsequenzen, zum Beispiel auch wahrhaft bitteren der religiösen Art?
Ich, du, er, sie, es
- darauf folgt das WIR. In der Grammatik ganz einfach, alles andere als einfach aber im Leben.



Wissen und Wissenschaft
Prof. Dr. Gerald Wolf


Es gibt so viel Wissbares, doch was schon weiß man von all dem? Und was genau? Seitens der Chemie wird pro Tag über weltweit 15 000 neuartigen Substanzen berichtet. Pro Tag! Was weiß unsereiner davon? Nichts. Und schon gar nichts über die bisher bekannt gewordenen 204 Millionen organischen und anorganischen Substanzen und die 69 Millionen verschiedenen Eiweiß- und Nukleinsäurestrukturen (CAS Registry Number; https://en.wikipedia.org/wiki/Chemical_Abstracts_Service). Klar, wir sind keine Chemiker, aber die wissen auch nur das, was sie direkt angeht. Ansonsten müssten sie sich pro Minute mit 1 440 neuen chemischen Verbindungen auseinandersetzen!
Anders ist das mit dem Wissen über uns selbst, da weiß ein jeder Bescheid, recht genau sogar. Und über diejenigen, die uns nahestehen, über unsere Angehörigen, unsere Freunde. Ebenso weiß man eine Menge über all das, was den eigenen Beruf angeht. Und natürlich wissen wir Bescheid über die Politik und die Politiker, wie die uns … - nun ja, besser, man sagt nichts. Genauer besehen finden sich überall aber auch Grenzen. Sogar im Wissen über uns selbst. Wenn es wichtig wird, gibt es zum Glück Menschen, die besser über uns Bescheid wissen als wir selbst. Zum Beispiel unser Arzt. Konkret: Eine Ärztin ist es. Neulich, als es um den Schmerz unter meinem rechten Rippenbogen ging, meinte sie, „versetzte Winde“ könnten es sein. Nach dem Betasten hier und dem Drücken da - ebenso käme eine Hernie in Frage. Eine „Hernie“? Das Lächeln der Ärztin verriet Unsicherheit.  Oder die Gallenblase, mutmaßte sie. Entweder deren Entzündung oder ein Gallenstein. Eine Röntgen-Untersuchung folgte, darauf eine per Ultraschall und eine MRT-Aufnahme. Am Ende sogar eine Endoskopie des Dickdarmes, wie unangenehm! Doch war allemal nichts zu sehen, selbst bei höchster Auflösung nicht. Aufgelöst hat sich mittlerweile auch der Schmerz.
Und die Wissenschaft, was kann diese über uns sagen? Sehr viel, vor allem Grundsätzliches. Auf dem Gebiet der Medizin und deren naturwissenschaftliche Grundlagen erscheinen in der Welt pro Jahr etwa 1 700 000 wissenschaftliche Veröffentlichungen. Ernstzunehmende „Papers“ also, nicht etwa das, was man in Zeitungen und Zeitschriften an Empfehlungen medizinischer Art und „Wissen“ findet. Seit Jahren allabendlich kurz vor der Tagesschau zum Beispiel über das Reizdarmpräparat Kijimea.


Corona, das Böse schlechthin

Jawohl, da war sich alle Welt einig: impfen-impfen-impfen, Mundschutz, Schulschließungen und, so für die Alten in den Pflegeheimen, Isolation. Dazu riefen die Politiker auf, und die ihnen Willfährigen in den Ämtern und Verwaltungen verfügten entsprechende Maßnahmen. Von Ausnahmen abgesehen, waren die Wissenschaftler mit von der Partie. Unisono drückte man Andersdenkenden den Leugner-Stempel auf, schimpfte sie Schwurbler, Covidioten, Verschwörungstheoretiker, Rassisten, Rechtsextreme. Oder Nazis gar. Oft genug beschuldigte man sie, ihrer Kritik an den Coronamaßnahmen wegen „Volksverhetzer“ zu sein. Berufsverbote drohten, seitens einer eilfertigen Judikative sogar Haftstrafen.
„Querdenker“ wurde zum Schimpfwort, obwohl es doch in einer Demokratie gerade auf solche Leute ankommt. Längsdenker gibt es zuhauf, Leute, die so denken, wie ihnen die Obrigkeit und die von ihr dirigierten Medien zu denken vorgeben. Heimlich mag so mancher Längsdenker anders gedacht haben. Sein Motto aber: „Ich sage nichts!“ Nur einzelne Wissenschaftler meldeten in der Coronazeit Skepsis an, auch manche Ärzte. Ihre Bedenken: Der Corona-mRNA-Impfstoff sei nicht ausreichend geprüft, habe womöglich gar keine Schutzwirkung, eher seien impfstoffbedingte Erkrankungen zu vermelden, ja Todesfälle. Und diese in beängstigendem Ausmaß. Nicht post-Covid also, sondern post-Vac! Selbst der Maskenzwang sei medizinisch bedenklich, allemal in individual- und sozialpsychologischer Hinsicht.
Die Politik und ihre Apparate rächten sich fürchterlich. Sie warteten mit Bestrafungen und Entlassungen auf. Allzumal mit entsprechenden Drohungen. Und die Medienleute taten das Ihre dazu.


Die Wissenschaft und „die“ Wissenschaft

Die Wissenschaft ist ein System der Erkenntnisse über die wesentlichen Eigenschaften, kausalen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der Natur, Technik, Gesellschaft und des Denkens, das in Form von Begriffen, Kategorien, Maßbestimmungen, Gesetzen, Theorien und Hypothesen fixiert wird ...
Wikipedia
Und weiter heißt es da:
Wissenschaft ist … ein zusammenhängendes System von Aussagen, Theorien und Verfahrensweisen, das strengen Prüfungen der Geltung unterzogen wurde und mit dem Anspruch objektiver, überpersönlicher Gültigkeit verbunden ist.
Gleich welchen Sachverhalten sich Wissenschaftler widmen, an der Front haben sie es fast immer mit einander widersprechenden Daten und Deutungen zu tun. Da hilft nur eines: der ergebnisoffene Diskurs. Sobald aber eine Person oder eine Institution glaubt, in die Gemengelage solcher Daten oder Erkenntnisse anordnend eingreifen zu dürfen oder gar zu sollen, ist der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit dahin. Ein derart anmaßendes Verhalten leisten sich sehr gern die Chefs, die großen wie die kleinen. Darunter leiden Einzelpersonen, bald kleinere Teams, bald größere, und auch ganze Institute und Kliniken. Diese Chefs gilt es zurückzupfeifen. Doch wer will, wer kann sich das leisten, wer von den Mitarbeitern? Selbstmörderisch wird es für sie, wenn sich das Gros der Kollegen nach oben hin prostituiert. Denn was passiert mit einem einzelnen Widerständler, dessen Anstellung ausläuft (bei Zeitverträgen, wie sie an Universitäten gang und gäbe sind), und er ihrer Verlängerung bedarf?
Besonders problematisch wird es, wenn sich politische Parteien und ganze Staaten aus Eigeninteresse in die Wissenschaft einmischen. Die von ihnen verfügten Erkenntnisse werden samt ihrer bunt bemalten Windeier gern als solche „der“ Wissenschaft propagiert. So geschehen, als es um die Corona-„Pandemie“ ging. Pharmaproduzenten und die von ihnen gekauften Virologen profitierten davon, und die Einflussnahme auf die Bevölkerung reichte bis hin zum Besuchsverbot für Sterbende. Zu denken ist aber auch an die Klima- und die Energiepolitik und an alternative Energiequellen („Energien“, u. a. von einer Bundeskanzlerin so genannt, die ein Physikstudium absolviert hat!). Zu denken ist an ethnologische Fragen im Zusammenhang mit der Migration, an die Geschlechtlichkeit, die Freigabe von Cannabis, den Einsatz und die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz, an die Bewältigung der Finanz- und der Wirtschaftskrise und an die Wirkungsmechanismen globalistischer Kartelle. Im Extremfall kommt es durch „die“ Wissenschaft zu Entgleisungen der doktrinären Art, für die der sowjetische Agrobiologe Lyssenko eines der übelsten Beispiele lieferte. Widerständler wurden – durchaus auch im wörtlichen Sinne (!) – ans Messer geliefert.


Diskurse braucht es
Ohne das Nebeneinander unterschiedlicher Meinungen, Theorien und deren modellhafte Erfassung kommt es in der Wissenschaft zu keinem Erkenntnisfortschritt. Wie atemberaubend entsprechende Diskussionen sein können, erfährt der angehende Wissenschaftler, womöglich Student noch, auf großen Tagungen. Dann, wenn die Primadonnen der jeweiligen Forschungsrichtung ihre Erkenntnisse und Modelle sich gegenseitig um die Ohren hauen. Manche elegant, andere vielleicht weniger wortgewandt, dafür mehr Fakten ausweisend. Kaum jemals werden Widersprüche an Ort und Stelle geklärt. Das alles braucht Zeit. So und nur so reift wissenschaftliche Erkenntnis. In der politischen Praxis fehlt dafür die Zeit, allemal dann, wenn die Wissenschaft maßgeblich hereinspielt. Nur was, wenn der Diskurs nicht nur nicht stattfindet, sondern seitens der Politik unterdrückt wird? Nicht nur um die Wissenschaft an sich geht es, auch um den Bürger, damit er sich, unabhängig vom polit-medialen Machtkomplex, ein Bild vom Stand der Wissenschaft machen kann.
In Coronazeiten haben das Diskursverbot nicht nur die meisten Internisten, Infektiologen und Epidemiologen hingenommen, ebenso Biologen und andere Wissenschaftler. Ist heute nun die Mehrheit der Wissenschaftler bereit, ihre seinerzeitigen Irrtümer einzugestehen, laut und für jedermann deutlich? Nein. Zu peinlich das Ganze! Zumindest fürchtet man um das Wohl seitens der staatlichen und sonstigen Geldgeber. Und viele, viele einzelne - zu Recht - um ihren Sessel.
Schlimmer: Selbst in den großen wissenschaftlichen Gesellschaften rührte und rührt sich in puncto Irrtum im Zusammenhang mit den Coronamaßnahmen noch immer nichts. Bis auf Ausnahmen. Und diese wurden seinerzeit von den sich der Obrigkeit prostituierenden Kollegen verleumdet! Immer berief man sich dabei auf „die“ Wissenschaft. Der Fernsehmoderator und Autor Peter Hahne wünscht dazu nicht länger lasche Ausreden zu hören, sondern endlich das Klicken von Handschellen.


Was tun?

Wissenschaft muss gepflegt werden. Geld ist vonnöten, oft auch viel, vor allem aber Leistungswille. Als Chef wird man versuchen, ihn zu stimulieren, vor allem durch das eigene Vorbild. Mit einer 40-Stunden- oder gar 35-Stunden-Woche kommt man gegen Kollegen, die dafür 50 und 60 Stunden ansetzen, nicht an. Nicht wenige opfern ihre gesamte Freizeit. Zumindest phasenweise. Die Familien leiden darunter. Wer so nicht arbeiten kann oder will, sollte sich besser nach einer anderen Tätigkeit umsehen.
Vor allem ist bei der Jugend auf Leistungsbereitschaft zu setzen. Um Zähigkeit geht es und um üben, üben, üben. Dabei ist Wollen immer besser als Müssen. An die Spitze muss man wollen, wie beim Leistungssport. Wenn sich die weniger Leistungsbereiten mit Schmähworten wie „Streber“ oder „Ehrgeizling“ revanchieren, was kümmert’s.
Leider greift heutzutage in den Leistungsbereichen die Erosion um sich. Allzumal in den westlichen Industrienationen ist das so und, besonders ernüchternd, bei uns in Deutschland. Der Leistungsverfall drängt sich mittlerweile in alle schulischen Phasen und Bereiche. So ist Deutschland im PISA-Ranking ständig abgerutscht. Besonders beängstigend sind die mangelhaften Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen, denn sie untergraben die Fähigkeit zum artikulierten Denken. Auch hat sich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten das naturwissenschaftlich-technische Verständnis der deutschen Schüler verschlechtert. Laut Konrad-Adenauer-Stiftung seien etwa 50 Prozent der deutschen Abiturienten nicht mehr hochschulreif. Sie hätten ernste Schwierigkeiten in Mathematik, Deutsch und sogar in sinnerfassendem Lesen. Liegt das an fehlenden Vorbildern? An Gymnasien früherer Jahre wollte mitunter die halbe Klasse das Fach studieren, das von dem Lehrer vertreten wird, dessen Können und Wissen die Schüler persönlich bewundern. Mit Sorge fragt man sich: Welcher Art sind die Vorbilder von heute?
An den höheren Bildungseinrichtungen früherer Jahre waren es die Nobelpreisträger. Insgesamt 87 Nobelpreise sind an Deutsche gegangen. Die meisten davon entfallen auf den Bereich Chemie mit 30 solchen Auszeichnungen, danach folgt die Kategorie Physik mit 27. 17 Nobelpreise gab es für Deutsche im Bereich Physiologie und Medizin und acht auf dem Gebiet der Literatur. Doch all das ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Vergangenheit. Unter den 100 besten Universitäten der Welt finden sich nur noch 8 deutsche (https://www.timeshighereducation.com/world-university-rankings/2023/world-ranking).
Wer, fragt man sich, gibt heute an den Hochschulen den Ton an? Kaum jemals sind es die Besten ihres Faches. Treffend hat diese Sorge vor einiger Zeit schon der Wissenschaftler und Unternehmer Prof. Dr. Knut Löschke zum Ausdruck gebracht (https://www.ostsachsen-tv.com/ein-statement-auf-facebook-geht-um-die-welt/).
Klar ist, da muss sich etwas ändern. Mit noch mehr Geld? Sicher ist zumeist das vonnöten. Aber vielleicht mehr noch diejenigen in Position zu bringen, die es durch Leistung wirklich verdienen. Mit anderen Worten: Nicht die Politiker und welche Funktionäre auch immer, die, oft schlecht ausgebildet, heute ganz oben anzutreffen sind!

 Wo seid Ihr geblieben, Ihr Vögel, Frösche und Fliegen?
Prof. Dr. Gerald Wolf


Wer der Welt offenen Auges begegnet, sieht neben so vielem anderen ihre Natur, sieht Vögel, Frösche und Fliegen. Und die bunte Welt der Pflanzen. Vieles ist mittlerweile verschwunden, was man vor Jahrzehnten und vor vielen, vielen Jahrhunderten gar hätte sehen können. Germanien, so der römische Geschichtsschreiber Tacitus, “mache mit seinen Wäldern einen schaurigen, mit seinen Sümpfen einen widerwärtigen Eindruck“. Das hat sich gründlich geändert. Schon seit dem früheren Mittelalter, als sich hierzulande immer mehr Menschen breitmachten. Kleinere Ackerflächen entstanden, bunte Wiesen, und die Artenvielfalt wuchs. Haustiere trugen das ihre dazu bei, indem sie die gerodeten Flächen kurzhielten und auf ihre sehr natürliche Weise düngten. Überall raschelte es, kroch es, flog es. Natur eben. Zum Teil auch war das noch so, als die Älteren von heute Kinder waren. Und die Jüngeren von heute? Die wissen womöglich noch nicht einmal, wovon hier die Rede ist. Wenn überhaupt Natur, dann können sie sich diese einfach auf digitalem Wege reinziehen. Für deren Wahrnehmung sorgt mühefrei der heimische Bildschirm.
Gleichviel, für Deutschlands Natur werden 50 000 Tier- und 4 000 Pflanzenarten angegeben. Allerdings weiß niemand verbindlich zu sagen, wie viele davon ausgestorben sind. Und, wenn es um die Häufigkeit bzw. Seltenheit der verbliebenen Tier- oder Pflanzenarten geht, „nichts Genaues weiß man nicht“.


Selten oder ausgestorben
Von Insektensterben ist die Rede und von deren Seltenwerden. Blühende Sträucher, gerade jetzt im Frühling, waren einst ein Eldorado für Scharen fliegender Insekten. Heute sieht man, wenn überhaupt welche, nur noch einzelne Tiere. Immerhin. Da finden sich verschiedene Arten von Bienen und Wespen, von Hummeln und Käfern, Schmetterlingen, Zikaden, Milben, Blattläusen und Wanzen. - Wanzen? Richtig, aber nicht die Bettwanze. Sie gehört zwar zu der hierzulande knapp 1000 Arten umfassenden Insektenordnung der Hemipteren, der Wanzen, aber nicht zu den Blütenbesuchern. Vor 30 Jahren war sie bei uns fast ausgestorben, heute erfreut sie sich eines beachtlichen Comebacks. Für Deutschland rechnet man mit knapp 1 000 Wanzenarten. Darunter die prächtig schwarz-rot gezeichnete Streifenwanze. Sie ist in manchen Gegenden recht häufig, andere Arten sind dafür selten. Sogar extrem selten, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben (https://www.rote-liste-zentrum.de/de/Wanzen-Heteroptera-2081.html).
Und so ist es mit vielen weiteren Tierarten. Gibt es die eine oder andere überhaupt noch, fragen sich die Experten. Im Einzelnen sorgen die Roten Listen für eine Auskunft, wenn auch häufig für eine recht lückenhafte:
Rote Liste, Wikipedia
Ein anderes Beispiel die Lurche und Kriechtiere hier in Sachsen-Anhalt (Kapitel_13-14_Lurche-Kriechtiere_Rote_Listen_LSA_BF.pdf (sachsen-anhalt.de).
Ähnlich skandalös sieht es für fast alle anderen Tiergruppen aus, auch für viele unserer Pflanzenarten. Um darüber besorgt zu sein, ist Kenntnis vorausgesetzt, nicht politische Schwafelei. So auch braucht man ordentliche Kenntnisse, um zu sehen, was da auf einer bunten Wiese so alles blüht. Heute bestehen Wiesen zumeist nur aus einer einzigen Grasart, einer besonders ergiebigen. Für die meisten ist das kein Grund, sich zu ärgern - Hauptsache schön grün! Erst recht bleibt das Leben im Wassertropfen den meisten verborgen. Da fehlt nicht nur ein Mikroskop, sondern auch der Drang, dieses Leben kennenzulernen. Ausgesprochenen Spezialisten bleibt es vorbehalten, etwas über die Häufigkeit der einzelnen Arten der Gelb-, Gelbgrün- und Kieselalgen zu sagen, oder über die der Wimpertierchen und Rädertierchen. Sind davon welche selten geworden? Oder gar ausgestorben? Wen schon berührt das!


O Gott, der Klimawandel!
Wenn es um die Gefährdung unserer Natur geht, weiß ein jeder: Der Klimawandel ist es! Tag für Tag und überall kann man das hören und lesen. Und deswegen Klimaschutz! - Klima, was eigentlich ist das? Nun, was Wetter ist, weiß jeder. Fühlen kann man es, messen.  Aber Klima?
Einem Kollegen des Autors, einem Physiker, schwillt regelmäßig ein Gefäß auf der Stirn, wenn er auch nur von Klima hört. Nicht müde wird er zu behaupten, dass man das Gerede vom Klima und dessen Wandel aus politischen Gründen braucht. Als Alibi. Bei den riesigen Problemen von heute und dem Versagen in der Politik auf fast allen Feldern helfen, wenn sonst nichts, die Klimasorgen. Und der Kollege weiter dann: Klima sei eben nicht einfach das Wetter und dessen Kapriolen, sondern eine rein statistische Größe über das Wetter. Und das, bitte schön, über viele, viele Jahrzehnte hin gemessen. Um verlässliche Durchschnittswerte also handele es sich. Als der ich, der Autor, versuchte, etwas einzuwerfen, wurde der Kollege fuchtig und betonte, dass sich die Durchschnittstemperatur bei uns über die letzten hundert Jahre hin gerade mal um 1 Grad erhöht habe. Und von wegen Kohlenstoffdioxid, CO2: Nicht mehr als drei bis fünf Prozent speise der Mensch in die Atmosphäre ein. Hinzu käme, dass die Absorptionskurve für die Wärmestrahlung in puncto Ce-O-zwei bereits im Sättigungsbereich sei. - Im Sättigungsbereich? - Jawoll! So der Kollege. Selbst bei einer Verdopplung der atmosphärischen CO2-Konzentration würde das kaum eine Auswirkung auf die globale Temperatur haben. Und diese sei in der letzten Zeit trotz steigender CO2-Konzentration sogar leicht gesunken!


Tja, was denn dann?
Was denn dann, wenn es ursächlich weder das CO2 noch die Erdtemperatur noch überhaupt der Klimawandel sind, die unserer Natur so an den Kragen gehen? Sowohl der heimischen Natur als auch der sonst wo in der Welt. Fernab politischer Statements werden hierfür an erster Stelle die Intensivierung der Land- wie auch die der Forstwirtschaft genannt. Ökonomische Aspekte zwingen dazu, zum anderen das Bevölkerungswachstum. Für die weltweit acht Milliarden Menschen von heute muss eben nun mal anders gesorgt werden als für die 4 Milliarden von 1974. Dementsprechend ist es um die Natur bestellt. Um wenigstens einen Eindruck von ihrer Ursprünglichkeit zu bewahren, bieten die meisten Länder Nationalparks an. Restlandschaften sind das zwar, zumeist aber recht erfolgreiche Unternehmungen. Zudem sind sie tourismusfördernd, mithin für die jeweiligen Länder ein lukratives Geschäft.
Aber kaum wohl für Deutschland und andere hochentwickelte Staaten. Nicht die Bewahrung der Natur steht hier obenan, sondern deren Nutzung. Und das in Gestalt von Forsten, die oft nur aus schnell wachsenden Kiefern und Fichten bestehen, oder von  Feldern, die sich mit ihren Monokulturen bis zum Horizont erstrecken. Größtenteils gedeihen hier Getreide und „Energiepflanzen“. Hier wie dort müssen konkurrierende Pflanzen und Tiere („Unkräuter“, „Schädlinge“) weg. Und das so effektiv wie nur möglich. Sei es auf mechanischem Wege oder durch Gifte. Letztere wirken nicht nur dort, wo sie eingesetzt werden, sondern bringen auch anderswo Tiere und Pflanzen um.
Wasser sorgt ebenfalls für Probleme ökologischer Art. Ist es mal zu viel, dann dienen heutzutage Drainagesysteme für eine rasche Entsorgung. Damit geht es der Staunässe an den Kragen, aber auch Tümpeln und Bächen. Und damit all den Tieren und Pflanzen, die dort leben. Bäche werden begradigt, um der Natur so viel wie möglich nutzbares Terrain abzuringen. Sumpfige Wiesen oder Moore gar, weg damit! Erfreulich: Hier und da einmal eine Wiedervernässung - ein Frondienst für den Naturschutzgedanken, nachdem dieser jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Nicht zuletzt von den Grünen, die sich allzu gern als Freunde der Natur verstanden wissen wollen. Aber eben auch als erfolgreiche Politiker. Und denen sind mit „Energiepflanzen“ bestellte Felder wichtiger als Sümpfe und Moore. Unter anderem, um weniger auf die Nutzung fossiler Energieträger angewiesen zu sein. Nicht nur um Kohle geht es dabei, auch um Erdöl und Erdgas. Sind die letzteren überhaupt fossil, können ihre Quellen jemals versiegen? Eine Frage, die aus politischen Gründen heftig attackiert wird. Und dann die Kernenergie. Zwar wird sie von der EU mittlerweile als „grün“ etikettiert, den Grünen mit deutschem Pass aber ist sie seit jeher ein Graus. Also weg mit der Kernenergie!


Viel und wenig Wind
Die Windenergie gehört zu den umweltfreundlichsten, saubersten und sichersten Energieressourcen. Heißt es. Mitte des Jahres 2020 zählte man in Deutschland landseitig 29.546 Windenergieanlagen. Doch dämpfen nicht nur technische und ökonomische Probleme wie auch die Schwankungen (Volatilität) der Energie-Erzeugung den Applaus für die Propellerscharen, auch die Ökologen. Denn die rasenden Windräder werden vielen Tieren zum Verhängnis. Mit bis zu 400 Stundenkilometern schneiden die Rotorblätter an ihren Spitzen die Luft. Immer häufiger werden die Propellerriesen nun auch schützenswerten Wäldern eingepflanzt. Opfer sind vor allem Vögel, Fledermäuse und Fluginsekten. Doch wo und wie findet man sie, die Opfer, und wer zählt sie? Allenthalben gibt es Veröffentlichungen zum Vogelschwund und zum Insektensterben, wobei zunehmend auch die Windkraftanlagen eine Rolle spielen. Doch sind die Angaben statistischer Art je nach Tierart und Artengruppe zumeist sehr unzuverlässig.
Ein neuartiges Argument kontra Windenergie ist der Infraschall. Hierbei handelt es sich um Luftschallwellen im Bereich von 1 bis 20 Hertz. Im natürlichen Umfeld können zum Beispiel der Wind oder die Meeresbrandung Infraschall erzeugen. Bei Windenergieanlagen entsteht er durch den periodischen Wechseldruck beim Drehen der Rotorblätter. Sehr tiefe Frequenzen von bis zu 0,25 Hz können resultieren und das bei einer Wellenlänge von knapp 1,4 Kilometer.
Für den Menschen ist der Infraschall unhörbar, für viele Tierarten gilt das aber nicht. Dennoch ist auch für den Menschen der Infraschall nicht unbedenklich. Vor allem Mikrozirkulationsstörungen sollen die Folge von Infraschall sein:  Blutdrucksteigerungen, und Schwindel werden genannt, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen (
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35900395). Doch stehen schlüssige Belege noch aus.
Anderes gilt für Tiere.  Sie haben oft ganz andere Wahrnehmungsbereiche als wir Menschen, was eben auch für den Infraschallbereich gilt. Und so zeigen sie mitunter ein ausgesprochenes Vergrämungsverhalten. Das heißt, sie verlassen die Region weiträumig. Bei Weidetieren zu beobachten, ist aber auch für freilebende Tiere unterschiedlichster Art zu vermuten.
Erstaunlich, auch noch nach über 30 Jahren Windenergienutzung müssen Betreiber von Windkraftanlagen keinen Nachweis der Verträglichkeit für Mensch und Tier vorlegen. Dazu das Grundgesetz, Artikel 20a:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.


Wo seid Ihr geblieben, Ihr Vögel, Frösche und Fliegen?
Die erste Studie zum bis dahin nur "gefühlten" Insektensterben lieferte das Fachmagazin "PLOS ONE" im Oktober 2017. Hiernach sei die Zahl der Insekten in Deutschland nicht eben nur zurückgegangen, nein, regelrecht eingebrochen sei sie: Dreiviertel aller Fluginsekten wären im Verlauf von nicht einmal dreißig Jahren verschwunden. In nur 27 Jahren hätte die Gesamtmasse der gezählten Insekten um 76 Prozent abgenommen. Jede zweite Insektenart sei am Schwinden.
Naturschutzverbände berichten, dass der Verlust von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien zwischen 1970 und 2016 bei 68 Prozent gelegen habe. Mittlerweile sei er auf 70 Prozent gestiegen. Einer internationalen Untersuchung zufolge wären durch die Menschheit mehr als 1 400 Vogelarten ausgerottet worden. Viele Vögel Europas kämpften vor unser aller Augen um ihr Überleben. Die Staaten der EU hätten in den letzten vier Jahrzehnten überdurchschnittlich viele Vögel verloren. Von 600 Millionen ist die Rede. Über den bisherigen Durchschnitt gerechnet entspricht das Tag für Tag einem Verlust von 40 000 Vögeln.
Wer aber zählt die Insekten, die Spinnen- und Krebstiere, wer die Fische in den Bächen, wer registriert den Verlust von Pflanzenarten im offenen Gelände, in den Wäldern, an Wegerändern, wer die Tier- und Algenarten im Wassertropfen?





Der Hund lacht nicht

Vom Lachen und anderen Phänomenen, die nur uns Menschen eigen sein sollen


Prof. Dr. Gerald Wolf


Weil er nicht lachen kann, der Hund. Oder? Wir jedenfalls, wir können es. Und wie! Nur was schon gibt es heutzutage zu lachen? Falls doch, vergeht es einem, sobald man darüber nachdenkt. Überhaupt das Lachen, was passiert dabei in uns, wie muss einem zumute sein? Und Humor, was ist das? Die Politik von heute, wird behauptet,
se
i nur noch mit Humor zu ertragen. Mit Humor? Mit Galgenhumor vielleicht, meinte kürzlich der Nachbar und lächelte dazu. Kein breites Lächeln war das, eher ein schiefes, ein spitzes. Und sogleich fügte er hinzu: Ein Todeskandidat wird auf den elektrischen Stuhl geschnallt. Einen letzten Wunsch habe er frei, bietet ihm der Gefängnisdirektor an. Darauf der Kandidat: „Ja bitte, wenn Sie meine Hand halten könnten?“ Ein schräger Blick auf den Hund, der mitgekommen war - nein, der konnte darüber nicht lachen. Er kann überhaupt nicht lachen. Natürlich kann er das nicht. Er weiß noch nicht einmal, wie das geht mit dem Lachen. Und selbst wenn er es könnte, dann wüsste er nicht, worüber. Oder? Und wieder dieses „Oder?“, dieses Nichts-Genaues-weiß-man-nicht!

Sokrates war der Erste, dem man nachsagt, er wisse, dass er nichts weiß. Sicherlich war er auf Widerspruch aus, hatte aber auch recht. Irgendwie. Und wir, die wir viel mehr wissen, als man zu Sokrates‘ Zeiten je wissen konnte? Was schon, müssen wir uns fragen, was wissen wir wirklich genau? Noch nicht einmal, warum wir lachen, wenn wir es müssen oder wollen. Humor sei die edelste Form des Lachens, heißt es. Geist wäre da gefragt. Geist, o Gott, was ist denn das? Was wissen wir über den Geist, was über unser Empfinden und über das eines Anderen, über Subjektivität? Klipp und klar können wir sagen, was ein Hammer ist und was eine Säge, aber nicht, was das Behagen in uns ist oder das Missbehagen. Und wie das mit dem Lachen geht und mit dessen Warum. Was gar wissen wir über die Subjektivität eines Tieres? Haben Tiere überhaupt so etwas wie ein Ichempfinden - Hunde, Pferde, Erlenzeisige, Wasserflöhe? Sie können es uns schlichtweg nicht sagen. Anders wir, wir Menschen. Und wie hört sich das an, was wir darüber sagen können? Zum Beispiel darüber, worüber unsereiner lachen muss und andere nicht, nicht können oder nicht wollen. Wie sieht das dann tief drinnen aus? Dort, wo das Subjektive beginnt, in der Tiefe der Seele.

Das zu sagen, fehlen einem jeden von uns die rechten Worte. Das Ausdrucksverhalten verrät da mehr. Entweder ist unser Lachen ein breites, lautes, womöglich ein regelrechtes Gelächter, oder wir lachen nur ein bisschen. Vielleicht auch verkneifen wir es uns, das Lachen, oder wir tun nur so als ob. Und wie ist das mit unserem Hund, wenn er auf dem Rücken liegt, wir ihm den Bauch kitzeln, und er uns dabei sein klaffendes, geiferndes Maul zeigt. Offensichtlich ein Anzeichen von Vergnügen, so wie es uns überkommt, wenn uns jemand freundlich kitzelt. Zwar können wir darüber sprechen, aber wir können es nicht wirklich erklären. Jedenfalls nicht so, dass das Gegenüber unseren inneren Zustand treffend nachempfinden kann. Noch ärger beim Verstehenwollen der Hundeseele. Oder der eines Karpfens oder einer Schmeißfliege. Haben die überhaupt eine Seele? Wenn ja, wieso? Wenn nein, wieso?

Rot und Grün, gänzlich unpolitisch
Von Farbenblinden abgesehen, können wir alle Rot von Grün unterscheiden. Und sonstige Farben. Dafür gibt es in der Netzhaut des Auges spezielle Sinneszellen, Farbrezeptoren genannt, und diese in drei Klassen: solche für Rot, für Grün und für Blau. Bei Gelb antworten neben den Rezeptoren für die Farbe Grün auch die für Rot, und das je nach Farbton in jeweils unterschiedlicher Intensität. Allerdings ist die Bestückung der Netzhaut mit solchen Rezeptorzellen von Mensch zu Mensch verschieden. Die einen haben mehr Rezeptoren für Rot, dafür weniger für Blau oder Grün, bei den nächsten mag es anders verteilt sein. Entsprechend sollten sich die Farbempfindungen von Mensch zu Mensch unterscheiden. Genau das aber lässt sich nicht ermitteln. Wie auch sollte man darüber sprechen können? Krasser noch: Objektiv gibt es überhaupt keine Farben – nur Licht unterschiedlicher Wellenlänge, und wir Farbtüchtigen erkennen darin Farben! Für die Empfindung eines gewissen „Gelbgrüns“ benutzen wir ein und dieselben Begriffe, allerdings eben ohne wirklich wissen zu können, wie der Nachbar dieses Gelbgrün sieht.
Ähnlich ist das mit dem Hören von Tönen und Geräuschen, mit Hautempfindungen, Schmerz oder Signalen aus dem Körperinneren. Genauso mit dem Geschmack eines „edlen“ Burgunders - für die einen ein Traum, für andere eine entsetzlich bittere Plörre. Wir kennen von uns das Gefühl für Ekel, für Freude und für Zuneigung, wie aber erlebt ein Anderer solche Zustände? Gar erst wenn es um die Liebe geht und, späterhin, um den Hass. Die Belletristik lebt davon. Wieder eine Oktave runter: Wie empfindet jemand Rachmaninovs Drittes Klavierkonzert, wenn er ansonsten auf Rap steht oder überhaupt nichts von Musik hält? Nur von Fußball. Oder wenn er einen Blick auf den „Schrei“ von Edvard Munch wirft und dann einen ersten, einen zweiten und dritten auf das Matterhorn? Wie, ein weiteres Beispiel, sollten wir uns in einen Wanderer hineinversetzen, wenn er auf eine Kreuzotter stößt oder auf eine Blindschleiche, wie seinen Schreck nachempfinden? Womöglich lacht er, wenn er die Harmlosigkeit des Tieres erkennt. Oder er ist dennoch käseweiß und muss sich erstmal hinsetzen. Natürlich werden wir als Beobachter versuchen nachzuempfinden, als ob wir selbst die Betroffenen wären. Nur, was kommt dabei heraus? Bei einer besorgten Mutter sicherlich etwas anderes als bei der Schwester, dem Bruder oder der Freundin, so sie zur Wandergruppe gehören. Und wieder die Frage, wo sind die Grenzen der Mit-Empfindsamkeit.  Bei einem Hochsensiblen liegen sie ganz anders als bei einem Gefühlsarmen, einem Psychopathen gar.


Ganz tief drinnen
Regelrechte Berühmtheit erlangte der Fall des Norwegers Anders Behring Breivik, der im Jahr 2011 aus einem von ihm selbst bekannten rechtsextremen Motiv heraus an einem einzigen Tag 77 (!) Menschen tötete. Die mit dem Fall befassten Experten waren sich über die Schuldhaftigkeit uneinig, und sind es großenteils wohl bis heute. Ist nun dieser Brevik ein Psychopath, der mangels Gefühlsfähigkeit zu diesem Verbrechen bereit gewesen war, oder ist er weder psychotisch noch (wie von gerichtspsychiatrischer Seite her ebenfalls vermutet) schizophren? Krank oder normal, schuldig oder nicht schuldig?
Gleichviel, wie fern muss man anderen Menschen sein, um eine derartig unmenschliche (unmenschlich?) Scheußlichkeit zu begehen?
Ähnlich spielt auch im „normalen“ Leben eine allzu große Ferne zum Ich der Anderen eine Rolle, obschon viel weniger extrem. Derartige Fälle gehören bei Psychotherapeuten und in den Kinder- und Jugendpsychiatrien zur täglichen Praxis, ebenso bei Familienrichtern, Lehrern und Kindergärtnerinnen. Oft auch tragen die Freunde und die Wohnungsnachbarn mit daran. Die ärgsten der Problemfälle sind durchaus nicht immer Psychopathen zuzurechnen, aber oft. Denn nicht nur finden sich solche Menschen als Straftäter in den Gefängnissen, nein, als manipulativ besonders Begabte mitunter auch auf Chefetagen, in der Werbebranche, da und dort auf den Bühnen der Unterhaltungsindustrie und wohl ebenso in der Politik. Die Erfolgreichsten unter ihnen zeichnen sich durch eine hohe Intelligenz aus, durch Charme, Pathos, laxen Umgang mit Fakten, Geschwätzigkeit und: Sie haben keine sonderlichen Probleme mit dem Schamgefühl und mit Gewissensbissen.
Robert D. Hare, ein kanadischer Kriminalpsychologe, meint dazu, die Rücksichtslosigkeit der Psychopathen sei es, die ihnen im Wettbewerb mit Anderen einen Vorteil verschaffe. Ein Mangel an Empathie also, an Mitgefühl. Andere hingegen behaupten eher das Gegenteil belegen zu können. Nämlich dass psychopathisch „Begabte“ durchaus mit Anderen mitfühlen können und sie gerade dadurch bestens zu manipulieren wissen. Allerdings eben ein Mit-fühlen ohne mit-leiden zu müssen. Untersucht man diese Menschen in einem Gehirn-Scanner, währenddessen ein Film demonstriert, wie jemandem in derb schmerzhafter Weise ein Finger umgebogen wird, passiert in dem Hirnareal, das für Mit-Leiden zuständig ist, auffällig wenig.
Fast ebenso beunruhigend ist, dass die Rigorosität psychopathisch Veranlagter von Anderen gern als Stärke angesehen wird. Viele zollen ihnen hohen Respekt, ja Verehrung. Umso mehr dann, wenn es nicht nur um die Manipulation Einzelner geht, sondern um die eines ganzen Volkes. Worte für Empfindungen wissen sie so einzusetzen, dass solche mit positiver Wertung in solche mit negativer umbewertet werden, Zorn in „Hass“ umgemünzt, Widerrede in Hetze.  Einige im Schwarm der Anonymen „schwärmen“ geradezu für solche Art von Führungspersönlichkeiten – Schwarmdummheit eben.
Und Hunde? Auch unter ihnen gibt es Problemfälle. Zum Beispiel solche, die ihre Herrschaft beißen. Tierische Psychopathen gewissermaßen. Hier sorgt der Mensch ganz einfach für Abhilfe.


Gelaber
Prof. Dr. Gerald Wolf

Gelaber, labern - in Synonymwörterbüchern heißt es dazu:
schwatzen, schnacken, quatschen, babbeln, rumfaseln, palavern, plappern, plauschen, parlieren, schwafeln, rumschwätzen, daherschwätzen, herumtönen, schnattern, herumeiern, schwadronieren, einfältiges Zeug reden, sinnloses Gerede, Laberhans, Labersack, Geseire, Seirich ...

Verschiedene Begriffe zwar, mehr oder weniger aber ein Einerlei, typisch für das Labern eben. Laberer (korrekt: Laberinnen und Laberer) reden und reden, schreiben und schreiben, wiederholen sich ständig, und alles ist arm an Sinn. Nach einer Laber-Attacke fragt man sich, um was es am Ende eigentlich ging. Beim nächsten Mal besser das Weite suchen!

Wird eine solche Haltung der anderen Seite gerecht? Womöglich hat die Laberei doch einen Sinn. Zum Beispiel, um miteinander ein bisschen Spaß zu haben, um Sympathien zu gewinnen oder um Kontakte zu pflegen. Leute, die das Labern weder können noch wollen, bleiben oft isoliert. Bei sozial lebenden Tieren ist das ähnlich. Schon aus Existenzgründen muss da mitgelabert werden. Denken wir an das monotone Gekrähe in einem Krähenschwarm. Es bedeutet all den Mitkrähen: „Ich bin hier, Ihr doch wohl auch, lasst uns mal schön zusammenhalten!“ Und das geht unter Umständen stundenlang so. Ist das Laberei? Ähnlich das Geschrei und Gekreisch an einem Vogelfelsen. Je nach Vogelart ist es ganz unterschiedlich, die Platzordnung wird damit gewahrt. Pinguine erfahren durch das monotone Rufen ihrer Jungen, wo unter den tausenden anderen der eigener Balg steckt. Auch Menschen kommunizieren in Paniksituationen auf eintönige Weise. Da gilt es, möglichst laut und immer aufs Neue zu rufen, allein um zu signalisieren: „Hier bin ich, hier! Komm, kommt schnell!“ - Gelaber? Gewisslich nicht.

Gewiss aber gibt es Gelaber. Es ist sozusagen das Kontrastprogramm zur Übermittlung von Tatsachen, Wissen oder Vermutungen, von Absichten, Behauptungen, Gefühlen und Glauben, von Befürchtungen oder Drohungen. Bis hin zu dem Bedürfis, mit Wissen anzugeben. Selbst wenn es nur vermeintliches Wissen ist, kann das interessant sein oder amüsant, fernab von Gelaber. Gelaber hin, Gelaber her, mitunter ist das eine vom anderen zu unterscheiden recht schwer.

Indes wenn von

Laberantinnen und Laberanten

die Rede ist, gibt es keinen Zweifel. Dann geht es nicht um Fachkräfte in den Labors, sondern allein um eher wenig geschätzte, mitunter sogar gefürchtete Repräsentanten des Gelabers! Jeder kennt das. Da wird ein Vortrag zu einem brisanten Thema angeboten, man geht voller Erwartung hin. Eine Leinwand kündigt interessante Bilder an, und nach einer ohnehin schon viel zu langen Einführung setzt der Vortragende dann tatsächlich auf den Projektor. Aber nicht Bilder zeigt er, sondern Texte. Zeilenweise und seitenweise. Sie sollen unterstreichen, was von ihm ohnehin gesagt wird. Und was der Vortragende sagt, ist entweder längst bekannt oder reichlich uninteressant. Gelaber also, Gelaber auf höherer Ebene.

Auch Bilderstapel können laberig sein. Früher waren es Fotos, die die Freundin Evelin aus der Handtasche zog, stoßweise, heute ist es ihr Handy. Und Bild auf Bild geht es um den Enkel Sebastian, wie er läuft, rennt, springt, kreischt und schläft, wie er sitzt und isst. Nicht Torte aus dem Supermarkt, sondern eine, die man selbst gebacken hat! Nämlich mit Mandelsplittern, zerstoßener Nuss-Schokolade und Apfelsinenresten. Und das alles bei 128 Grad. Sebastians Mutter, die Schwiegertochter Karla-Petra, staunt dann immer, wie so was geht. Selbst kauft sie ja die Torte immer bei Netto. Oder bei Edeka. Bei Karla-Petra ganz in der Nähe, da um die Ecke, Du weißt schon! In der – na, wie heißt gleich die Straße? Dort, wo das Schild hängt, das mit dem - , na, Du weißt schon. Und da sag ich immer …

Auch von Laber-Musik könnte man sprechen. Das ist die, die pausenlos aus den Lautsprechern der Supermärkte rinnt. Musik ohne Sinn, vermutlich durch Künstliche Intelligenz komponiert. Dazu hauchende, stöhnende, grunzende, jauchzende Laute aus jungen Kehlen. Textfrei. Oft genug hat der Autor die Verkäufer (Verkäuferinnen und Verkäufer) gefragt, wie sie denn so was den ganzen Tag über aushalten. Die Antwort ist immer dieselbe: Man höre da gar nicht mehr hin. Dazu ich: “Aber ich (!), ich höre hin, und mir wird schlecht davon- Mir, Ihrem Kunden!“ Und noch eines drauf: „In den Supermärkten Südostasiens wird klassische Musik gespielt. Die animiert derart, dass man das Doppelte von dem einkauft, was man sich hier in den Wagen packt. Bitte, sagen Sie das mal der Geschäftsleitung!“ Die Antwort ist jeweils ein halbgares Grinsen. Klar, es muss gar nicht Klassik sein. Allein wenn man an die Schlager der 50er bis 70er Jahre denkt. Melodien waren das, die zum Mitsingen einluden, Texte mit Sinn und Verstand, voller Humor. Na ja, die Alten eben, von wegen früher war alles besser!

Labernde Politiker, labernde Journalisten
Wie könnte man an Gelaber denken und von Gelaber sprechen, ohne „die da oben“ zu zitieren? Inhaltschwere, knackige Reden und Diskurse kennt man noch von den Altvordern, gleichviel ob von Adenauer, Brandt, Wehner, Strauß oder Schmidt. Ihre Ansichten musste man nicht teilen, immer aber bereiteten deren Reden Genuss. Sie forderten das Volk heraus, längs, schräg oder quer zu ihren Vorgaben zu argumentieren. Und heute? Über Tage und Wochen und Monate hin, mitunter jahrelang ein und dasselbe. Oft sachlich nicht hinreichend begründet. Oder es sind ohnehin Nichtigkeiten. Diskursives Argumentieren wird so weit wie möglich vermieden oder gar verhindert, geschweige denn an den Schulen und Universitäten trainiert. Die Einzigen, die sich von dieser Art Durchschnitt entfernen, die … (hier möge der geneigte Leser, bitte schön, eigene Gedanken einfügen), werden als „extrem“ abgetan und mitunter verfolgt. Und tatsächlich sind sie extrem, nämlich gemessen an dem Gelaber der Anderen.