Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
Gerald Wolf, Gastautor / 06.11.2020 / Foto: Schlaier
Das Nukleinsäure-Theater
Überall diese Nukleinsäuren! Jahrzehntelang von der Öffentlichkeit kaum beachtet, dominieren sie nun die Politik und mit ihr die gesamte Gesellschaft. Weltweit. Von früh bis spät Meldungen zu aktuellen Infektionszahlen für das neue Corona-Virus, dem SARS-CoV-2, dem Erreger der Krankheit Covid-19. Nicht direkt um das Virus geht es dabei, sondern um den Nachweis von Bruchstücken seiner Nukleinsäure. Fast scheint es, als lebe die Politik von diesen Nukleinsäure-Daten. Mit Schutzmaßnahmen gegen das Virus wartet sie auf, die, weil nun mal vermeintlich notwendig, tief in das Leben der Bevölkerung einschneiden.
Von bestallter Seite her erfahren wir immer neue Infektionszahlen. Nicht nur solche aus Deutschland, nein, aus aller Welt. Ebenso die Sterbeziffern. Man beruft sich dabei auf höheren Orts ausgewählte Wissenschaftler, auf Experten, die bereit sind, bei einer verwirrenden Faktenlage dem Anliegen der Politik den jeweils höheren Rang zuzuordnen. Im Interesse der Bevölkerung natürlich. Kliniker sind da nicht verlässlich genug, Pulmologen zum Beispiel, Kardiologen oder überhaupt Internisten. Dennoch haben diese durchgesetzt, nicht länger von „an Corona Verstorbenen“ zu sprechen, sondern von „im Zusammenhang mit Corona Verstorbenen“. Denn, zugegeben, die eigentliche Todesursache lässt sich zumeist nicht zweifelsfrei ausmachen. Wenn es sich um Angaben aus anderen Ländern handelt, spricht man noch immer vorzugsweise von „Corona-Toten“. Schrecklich, diese Zahlen, zumal sie wachsen. Als ob die Schutzmaßnahmen nicht nur nicht nützten, sondern die Ausbreitung noch förderten. Wie auch immer, Angst und Schrecken müssen nun mal sein, damit die breite Bevölkerung diese Ziffern auch ernst nimmt und bereit ist, sich noch wirksamer als bisher zu schützen. Und schützen zu lassen.
Infiziert mit den Corona-Nukleinsäureresten heißt aber nicht automatisch tot, noch nicht einmal krank. Die meisten spüren rein gar nichts, andere zeigen grippeähnliche Symptome und die nächsten, wenn auch nur wenige (aber immerhin), werden schwer krank, einige sterben. Diese Unterschiede in der Antwort auf den Virusbefall weiß im Moment niemand zu erklären. Vorerkrankungen sollen eine Rolle spielen, womöglich sogar die Hauptrolle. So manche unter den Skeptikern vermuten eine Verwechslung mit anderen Viruserkrankungen, Grippe zum Beispiel, oder mit Krankenhauskeimen.
Kliniker greifen sich an den Kopf.
Auch soll mit iatrogenen Schäden (durch ärztliche Einwirkung) größeren Umfangs zu rechnen sein, mit Schäden durch Behandlungsfehler, bis hin zur Todesfolge. Gegebenenfalls also Todesfälle im Zusammenhang mit Corona. Dennoch, das neue Corona-Virus, das SARS-CoV-2, muss hochgefährlich sein, auch wenn die WHO mittlerweile etwas anderes sagt. Und viele Kliniker greifen sich an den Kopf.
Noch komplizierter wird es, wenn man die eigentlichen Akteure ins Spiel bringt, die Nukleinsäuren. An sie ist zu denken, sobald es um die Infektionszahlen geht. Denn nicht das Virus SARS-CoV-2 weist man nach, das kennt man ohnehin nicht so richtig, nein, die Virus-Nukleinsäure. Und davon jeweils nur kleine oder kleinste Bruchstücke. Generell gilt: Kein Leben ohne Nukleinsäuren, den Ribonukleinsäuren (RNA) und den Desoxyribonukleinsäuren (DNA). Was lebt, verdankt den Vorzug diesen fadenartigen Kettenmolekülen. So auch wir Menschen. In jeder unserer Zellen finden sich 10.000 bis 30.000 verschiedene Moleküle der Messenger-RNA. Eintönig hingegen, dafür massenhaft, die ribosomale RNA. Und weitere RNA-Typen gibt es.
In der Bedeutungshierarchie der Nukleinsäuren ganz oben residieren die Moleküle einer RNA-Verwandten, der DNA. Sie formen mittels vier molekularer Buchstaben den Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens, das Erbgut. Auf 46 Chromosomen verteilt, schlängeln sich in jedem unserer Zellkerne DNA-Moleküle von etwa zwei Metern Gesamtlänge. Nicht nur menschlicher Herkunft ist die DNA des Zellkerns. Da stecken auch fremde Nukleinsäuren drin, zumeist solche von Viren.
Verschwörung gegen den menschlichen Un-Verstand
Viren sind überall. In und auf uns wimmelt es nur so von intakten der unterschiedlichsten Art und Herkunft, wie auch von Bruchstücken ihrer Nukleinsäuren. Auch von Bakterien und deren Nukleinsäuren beziehungsweise deren Bruchstücken. Völlig unsichtbar sind diese Moleküle, mit keinem noch so starken Mikroskop lassen sie sich entdecken. Dennoch nachweisen kann man sie, und das mit einem großartigen Trick: der Polymerase-Kettenreaktion (PCR). In diesem Fall RT-PCR, weil die Erbsubstanz der Covid-19 verursachenden Viren allein aus RNA besteht, und diese mit einem weiteren Trick, der Reversen Transkriptase (RT), zunächst in DNA umgewandelt werden muss. Die DNA-Stücke lassen sich per PCR Schritt für Schritt verdoppeln, so dass nach zig solcher Verdopplungsschritte so viel Material zusammenkommt, dass es mit anderweitigen Methoden erkennbar wird.
Nun heißt es, diese Tests seien anfällig für falsch-positive Ergebnisse. So zum Beispiel wären sie für die Diagnose Covid-19-Kranker viel zu empfindlich, da diese doch von dem Virus massenhaft befallen sein müssten und damit aber auch bedeutungslose Spuren positiv anschlügen. Außerdem beanstanden die Ungläubigen ein extremes Missverhältnis von positiv Getesteten auf der einen Seite und ursächlich an Covid-19 Erkrankten auf der anderen. Die Erkrankungsschwere entspräche ohnehin nur der einer Grippe, einer nicht-politogenen Viruserkrankung also. Warum in dem einen Fall Ignorieren, fragen sie, im anderen aber dieses politische Getöse?
Hier wie dort sei ständig mit Mutationen zu rechnen, die zu neuartigen Erregertypen führten und immerzu neue Impfstoffe erforderten. Überhaupt wären die Testverfahren allesamt nicht genügend validiert und in erster Linie dafür geeignet, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu halten. Und damit gefügig zu machen für das weltumspannende Rekordgeschäft mit dem irgendwann zu erwartenden Allround-Impfstoff, den gegen Covid-19, -20, -21, -X. Nicht die Pandemie sei das Problem, sondern die Panhysterie.
Welche Maßnahmen sind angemessen, welche übertrieben, welche schädlich, welche einfach nur politogen? Darüber zu befinden, ist in einer Diktatur einfach. Das Ergebnis kann richtig sein, falsch oder nicht gut genug. Weit schwieriger ist die Entscheidung in einer Demokratie. Als edelste aller Staatsformen kommt sie ohne Angst und Schrecken aus, bedarf aber einer kräftigen Opposition. Andernfalls degeneriert sie über kurz oder lang zur Diktatur. In einer Demokratie müssen alle Stimmen gehört werden, in der Virus-Nukleinsäure-Arena also auch und vor allem die derjenigen die von vorne herein zu „Covidioten“, „Coronaleugnern“ und „Verschwörungstheoretikenr“, aldo als nicht-saktifaktionsfähig erklärt werden. Immerhin könnte es sich ja – zumindest rein theoretisch – um eine Verschwörung gegen den menschlichen Un-Verstand handeln...
Gerald Wolf ist emeritierter Magdeburger Universitätsprofessor, Hirnforscher und Institutsdirektor.