****       Sapere aude!        ****        
                 
Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
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Gerald Wolf, Gastautor / 24.11.2024 /

Urvertrauen? Glauben? Was, wem und warum?

Jeder Mensch wird in der allerersten Lebenszeit gegenüber Menschen und Situationen von einer Art Urvertrauen geprägt. Später werden die Weichen dafür gestellt, inwieweit wir der Welt tatsächlich vertrauen dürfen.
„Glaube keinem, nur Dir selbst!“, lautet ein Spruch des österreichischen Journalisten und Buchautors Josef „Joki“ Kirschner. Eines seiner Ratgeber-Bücher ist mit „Das Egoisten-Training“ betitelt. Gewiss hatte er das mit dem Ego nicht so ganz ernst gemeint, aber „mal offen und ehrlich“ (wie ausgelatscht!), ist an diesem Rat nicht vielleicht doch etwas Wahres dran? Jeder von uns kennt die Enttäuschung, wenn man mal wieder zu gutgläubig war und dadurch das Nachsehen hatte. Zwischen Glauben und Nicht-Glauben gibt es unzählige Stufen.
Das Achselzucken mag da am wenigsten verbindlich sein. Oder doch nicht? Wenn ein Pilzberater gefragt wird, ob dieser oder jener Pilz im Korb giftig sei, was er denn glaube, steht ihm das Achselzucken nicht zu. Wenn er es nicht oder nicht genau weiß, hilft kein Achselzucken, sein Rat hat zu lauten: Wegschmeißen! Und was, wenn die Tochter ihren Vater fragt, ob er glaubt, dass Friedhelm für sie der Richtige ist. Bei all den Zweifeln, die sie selber hat.
Was gibt es da zu glauben? Wissen kann er es nicht, der Vater, auch nicht die beste Freundin, niemand. Gleichviel, alles Mögliche wird zur Glaubenssache, ob belanglos, halbwegs bedeutsam oder gar lebenswichtig. Genauso wenn es um Belange geht, die über das Persönliche hinausgreifen, um Politik, um Weltanschauung. Und erst recht, wenn es um „den“ Glauben geht, den der religiösen Art.

Ganesha, Jesus, Klimawandel
Für unsereinen ist der Glaube an den Elefantengott Ganesha absurd, für Andere der an Jesus. Von beiden gibt es Bildnisse und Berichte zuhauf, aber keine Belege. Jedenfalls keine verlässlichen, dass sie existieren beziehungsweise jemals existiert haben. Anders ist das mit dem Klimawandel. Ständig hat sich das Klima auf unserer Erde gewandelt, und das ohne den Menschen, von Natur aus. Die Paläoklimatologie bietet dafür Belege, die bis zu 600 Millionen Jahre zurückreichen.
Für den Klimawandel der Gegenwart jedoch wird der Mensch verantwortlich gemacht, allemal wenn dazu Politiker und Medienleute gehört werden. Oder die Menschen, die ihnen glauben. Allein er sei es, der Mensch, der den Klimawandel verursacht. Nicht direkt zwar, sondern das von ihm gemachte CO2 sei es. Allerdings kann kaum jemand von ihnen die Frage nach dem „Wieso?“ beantworten. Ein Klimakiller ist es nun mal, das CO2, heißt es dann ersatzweise, jedes Kind wisse das.
Jedes Kind? Nein, noch nicht einmal die älteren unter ihnen wissen es, selbst wenn sie in den Fächern Chemie und Physik eine Eins vorzuweisen haben. Wissenschaftler, die nicht in den vorgegebenen politischen Rahmen passen, werden dazu nicht gehört. Für die Bevölkerungsmehrheit ist der durch CO2 verursachte Klimawandel eine Glaubenssache, ähnlich wie Gott im Himmel. Zum Glauben gibt es immer eine Alternative: das Wissen.
Dazu gehört auch das Wissen, dass man das, was man wissen möchte oder sollte, nicht hat. Vorübergehend mag der Glaube als Wissensersatz herhalten. So früh wie möglich aber sollte er dem Bemühen weichen, das fehlende Wissen durch Anstrengung zu erlangen. Man kann Menschen fragen, die sich auskennen, oder in Büchern und Zeitschriften nachlesen, oder im Internet.
Weit aufwändiger ist ein Studium an einer Fachschule, einer Hochschule, einer Universität. Wenn die Wissenslücken grundsätzlicher Art sind, niemand Bescheid weiß, niemand es wissen kann, bleibt nur die originäre Forschung. In der Regel ist es auch hier der Glaube, mit dem man startet, von wegen aller Voraussicht nach könnte etwas so oder so sein, aber nicht so. Je näher die Hypothese an die Wirklichkeit herankommt, umso näher der Erfolg. Sollte man glauben.

Geglaubt wird viel, auch in der Wissenschaft

Oft mag das durch Forschung erlangte Wissen nicht zuverlässig sein und ist dann bald mehr, bald weniger Glaubenssache. Zumal dann, wenn die forschende Konkurrenz zu anderen Ergebnissen gelangt. Jahrzehntelang war man überzeugt, dass die wichtigste Ursache für die Demenz vom Alzheimertyp ein Eiweiß ist, das Beta-Amyloid, das sich im Hirngewebe der Patienten in Form von Klümpchen (Plaques) anreichert.
Weltweit wurden und werden zu diesem Thema viele Milliarden Dollar investiert, zumal ein wirksames Medikament Billionen-Dollar-Gewinne verspricht. Nicht nur, dass es trotz vielfältiger Ansätze bis heute kein Heilmittel gegen die Amyloidanreicherung gibt, man kann noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob das Amyloid für die Alzheimer-Demenz eine ursächliche Bedeutung hat oder nur deren Folge ist.
Schlimmer noch, was aus den Bemühungen zur Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Corona-Infektion folgte. All das geschah auf wissenschaftlicher Basis, allerdings eben ohne sich ausreichend Zeit für die Testung zu nehmen. Die Politik und der schmeichelhafte Erfolg in der weltweiten Öffentlichkeit drängten, der Corona-Schutz-Hypothese Glauben zu schenken, vor allem aber die daran gekoppelte Macht und – nicht zuletzt – die Liebe zum Geld.
Nahezu unisono drückte man Skeptikern den Leugner-Stempel auf, schimpfte sie Schwurbler, Covidioten, Verschwörungstheoretiker, Rassisten, Rechtsextreme, ja, Nazis gar und Volksverhetzer. Berufsverbote drohten, seitens einer eilfertigen Judikative sogar Haftstrafen. Wie und warum auch immer, die meisten Menschen glaubten an die Schutzwirkung des gänzlich neuartigen mRNA-Konstruktes. Seit’ an Seit’ mit der Klimareligion entstand eine Art von Impfreligion. Ungezählte bezahlten ihre Leichtgläubigkeit mit schwerer Erkrankung oder gar mit Tod.
Dabei wirkte in Coronazeiten politikerseits eine Art von Diskursverbot. Von Ausnahmen abgesehen, waren Ärzte und Wissenschaftler schlankweg mit von der Partie. Nicht nur die meisten Internisten, Infektiologen und Epidemiologen hatten das Schweigegebot hingenommen, auch Biologen und andere Naturwissenschaftler. Denn ohne das Nebeneinander unterschiedlicher Meinungen, Theorien und deren modellhafte Erfassung kommt es in der Wissenschaft nun mal zu keinem wirklichen Erkenntnisfortschritt.
Die Frage nun: Ist die Mehrheit der damals Verantwortlichen bereit, die seinerzeitigen Irrtümer einzugestehen, laut und für jedermann deutlich? – Nein, weiterhin das große „Psst!“, zu peinlich das Ganze. Auch wären – o Gott! – Strafmaßnahmen zu erwarten, zumindest fürchtet man um das Wohl seitens der staatlichen und sonstigen Geldgeber. Und viele, viele Einzelne um ihre Macht, um ihren Sessel.

Ur- und Grundvertrauen, von normal bis krank
Jeder Mensch wird in der allerersten Lebenszeit gegenüber Menschen und Situationen von einer Art Urvertrauen geprägt. Später werden die Weichen dafür gestellt, inwieweit wir der Welt und den Menschen um uns herum tatsächlich vertrauen dürfen. Entsprechende Erfahrungen in der Kindheit sollen weitreichende Folgen für unsere psychische Entwicklung haben und sich später nur noch in Grenzen verändern lassen. In welchem Ausmaß Früh-Erfahrungen die charakterliche Entwicklung beeinflussen, ist steter Streitpunkt zwischen genetisch oder umwelttheoretisch orientierten Wissenschaftlern. Immerhin liegen die Konsequenzen von Traumen in der Kindheit und Fehlerziehung klar auf der Hand und sind psychiatrisch oft nur noch mit begrenztem Erfolg zu behandeln.
In puncto Vertrauen und Persönlichkeit, was schon lässt sich da als „normal“ definieren? Die Palette reicht von vertrauensselig bis übervorsichtig. Irgendetwas passieren kann immer. Manch einer ist gestolpert und hat sich dabei die Hüfte gebrochen. Alles ist glatt verheilt. Wird man ihm künftig eine größere Vorsicht beim Gehen anmerken oder gehört er zum Typ Aus-Vorbei-Vergessen? Größer noch ist das Risiko beim Treppensteigen, beim Fahrrad- oder Autofahren. Die meisten sagen sich: Es wird schon nichts passieren! Ansonsten dürfte man ja gar nicht mehr aus dem Bett steigen. Und ständig nur herumzuliegen, kann ebenfalls gefährlich sein, Bewegung braucht der Körper. So oder so, das Leben ist nun mal gefährlich, lebensgefährlich! Schon beim Schlangestehen kann man von irgendjemanden mit irgendeiner Krankheit angesteckt werden. Medikamente einzunehmen, ist gefährlich, sie nicht einzunehmen ebenfalls. Gefahren lauern im Internet, bei der Begegnung mit dem Chef, sonstwo auf der Straße und sonstwo im Park. Auch Meinungsäußerungen können gefährlich sein. Also gar nicht mehr die Klappe aufmachen? – Nein und tausendmal nein, was für ein beschissenes Leben wäre das!
An nichts mehr zu glauben, alles zu bezweifeln und sogar den letzten Rest an Vertrauen gegenüber seinen Nächsten aufzugeben, letztlich gegenüber sich selbst, ist eine schwere Bürde. Sie begünstigt die Entstehung von Depressionen und Angststörungen. Zum Beispiel die der Angst, durch andere negativ beurteilt zu werden, soziale Phobie genannt. Wo aber ist denn nun die Grenze zwischen dem Leichtsinn auf der einen Seite und einem aus der Sicht Anderer ungewöhnlich hohen Sicherheitsbedürfnis? Irgendwo zwischen den Extremen pendeln wir hin und her. Sollte dabei das Hirnhormon Oxytocin eine Rolle spielen? Nicht von ungefähr wird es Vertrauenshormon genannt, auch Liebes-, Treue- und Kuschelhormon (Gerald Wolf: Das Liebespulver. Mitteldeutscher Verlag 2013).
Selbst höhere, offensichtlich erkenntnisfähige Tiere müssen sich fragen, wo die Grenze zwischen Vorsicht und gutem Glauben ist. Guter Glaube bei Tieren? Welche Instanz ist es denn, die den Sperling beseelt, wenn er dabei ist, durch das offene Fenster in eine Wohnung zu schlüpfen? Zunächst zögert er, hüpft paarmal hin- und her, vor und zurück, dann aber ab in die gute Stube! Offenbar in dem Glauben, es wird schon nichts passieren. In welchem Glauben? Sollten Tiere glauben können? Und wenn, woran? An etwas Höheres gar? Sollte es bei Tieren – o Gott! – ein Äquivalent von Gott geben, von unserem Gott? Ist unser Gott überhaupt unser? Zumindest muss er es nicht sein, falls er überhaupt ist, dieser Gott. Allein an ihn zu glauben, beweist nicht seine Existenz. Kinder glauben an den Weihnachtsmann, manche der Wehrmachtsoldaten glaubten an den Endsieg, und viele Bürger heute glauben an den menschgemachten Klimawandel und die Gefährlichkeit der Opposition.

Wissen oder doch lieber nur glauben?
Der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) hat vier Grundfragen hinterlassen, von denen eine lautet: „Was kann ich wissen?“ Den Einzelnen betreffend, nicht sehr viel, ja, viel zu wenig. Zwar weiß die Menschheit insgesamt viel, viel mehr als jeder Einzelne von uns, aber auch dieses Wissen hat seine Grenzen. Denken wir an die Wechselbeziehungen der etwa 10.000 Molekülarten in einer einzelnen Zelle unseres Körpers.
Kein Mensch kennt sich darin auch nur einigermaßen hinreichend aus, und nie und nimmer sind alle diese Wechselbeziehungen exakt berechenbar, mithin auch nicht präzise vorhersehbar. Wenn es zum Beispiel um bösartige Krankheiten geht, um Krebs, nimmt jede dieser Krankheiten ihren Ausgang von einer einzelnen Zelle. Tausende und abertausende Zellen gibt es in einem jeweiligen Organ. Eine davon ist es, die nicht mehr so tickt, wie sie sollte, und schon ist es passiert. Zur Krebszelle geworden, teilt sich und teilt sich die Zelle, und alle nachfolgenden übernehmen das hässliche Erbe. Schließlich kann der Wirtsorganismus daran versterben.
Wie kam es bei der ersten Zelle dazu, müssen wir uns fragen, was war die Ursache, die Ur-Ursache? Hätte sich ganz am Anfang diese eine Zelle, die Schicksalszelle, dieser Fehlleistung erwehren können, so die Frage, und warum hat sie in dem Einzelfall versagt, nicht aber irgendeine der anderen in dem Zellverbund? Selbst ein Computer von der Größe des von uns erfahrbaren Weltalls wäre überfordert, sollte er in dem konkreten Ursachengefüge allen in Frage kommenden Mechanismen nachzugehen haben. Selbst wenn jedes seiner Teilchen (10^80, oder ein bisschen mehr oder bisschen weniger) in die Informationsverarbeitung einbezogen wäre, und das mit der theoretischen Maximalgeschwindigkeit (6,3*10^23 Operationen pro Sekunde, oder ein bisschen mehr oder weniger). Seit 10^17 Sekunden (13,8 Milliarden Jahre) existiert unser Weltall, heißt es, zusammengenommen wären das 10^40 x 10^80 = 10^120 Zustandsmöglichkeiten. Und diese würden nicht ausreichen, um über die gesamte Zeit hin alle die molekularen und atomaren Zustandsmöglichkeiten in einer einzelnen unserer Zellen zu berechnen, geschweige denn in den Abermilliarden Zellen unseres Körpers. – Besser also einfach daran glauben, dass es ja „irgendwie“ zugehen musste, wenn für den einzelnen Menschen die Katastrophe heranreift.
Warum auch sollte man alles wissen wollen? Wer schon will sein Sterbedatum wissen? Nein, der Glaube, von dem allemal genug zu wissen, was sich zu wissen lohnt, der reicht! Oder sollten wir wenigstens den Quantenphysikern glauben, wenn sie da meinen, dass alles aus Nichts entstanden ist, die Energie also und mit ihr die Materie, dass am Anfang nur Information war, freie Information. Oder wie es im Johannes-Evangelium heißt:

"Im Anfang war das Wort