Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
Achse des Guten / 04.09.2017 / Foto: Bildarchiv Petermann
Körpereigene Stickoxide: Fahrverbot für Zellen?
Von Gerald Wolf.
Böse sind sie, die Stickoxide, böse, böse! Dabei haben sie auch Ihr Gutes. Sie verhelfen den Medien aus dem Sommerloch heraus und ermöglichen den Politikern aufzuzeigen, wie besorgt sie um uns sind. Um uns, die Menschen, die hier leben, die Wählerinnen und Wähler. Denn die Stickoxide machen krank. Das wissen mittlerweile alle, selbst wenn sie in ihrem Bildungsgang Chemie abgewählt haben sollten. Man will errechnet haben, wie viel tausende Menschen Jahr für Jahr durch Stickoxide sterben, vor allem solchen aus Dieselmotoren. Der Dieselfahrer – ein Massenmörder. Hauptsächlich aus wahltaktischen Gründen wohl geht man zurzeit mit ihm etwas nachsichtiger um. Aber wer schon weiß, was danach auf ihn zukommt. Und auf unsere Autoindustrie.
„NOx“ kann man für die Familie der leicht in einander umwandelbaren Stickoxide auch sagen, das ist kürzer und verrät ein Plus an Bildung. NOx ist vor allem in der Straßenluft schädlich, wie aus den Grenzwerten hervorgeht, die sich an EU-Vorgaben orientieren. Denselben zufolge und eigenartigerweise aber mehr als 20-mal weniger gefährlich in geschlossenen Räumen, in Büros zum Beispiel und an Arbeitsplätzen der Industrie. Zwar haben sich in Deutschland, so das Bundesumweltamt, die NOx-Ausscheidungen von Kraftfahrzeugen, Energiewirtschaft und so weiter seit 1990 stetig verringert, um etwa die Hälfte, der Alarm aber, obschon verspätet, muss trotzdem sein. Zumindest eben aus politischen und Sommerlochgründen.
Nicht so aus gesundheitlichen Erwägungen heraus. Denn man kann noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, dass Stickoxide zu Schäden führen, wenn ihre Konzentrationen deutlich über der Norm liegen. Das gilt selbst für Asthmatiker und Menschen mit anderen chronischen Lungenkrankheiten, die auf Schadstoffe in der Atemluft besonders empfindlich reagieren. Für sie ist der Fein- und Feinststaub, der unter anderem von den Brems- und Kupplungsbelägen und dem Reifenabrieb herrührt, besonders bedenklich, warnen die meisten der Lungenspezialisten.
Ob nun der eine oder der andere Umweltfaktor eine Rolle spielt oder welcher der vielen sonstigen auch immer, lässt sich nicht genau analysieren. Der Einfachheit halber hält man sich an einen der mutmaßlichen Faktoren, zum Beispiel eben an die Stickoxide, zumal sie im Zusammenhang mit der Dieselaffäre eine herausragende Rolle spielen. Mit deren Konzentrationen (vor allem an Straßenkreuzungen) füttert man sogenannte „epidemiologische Studien“.
In welchem Umfang, wird da gefragt, waren Menschen, die vermutbar an atmosphärischen Schadstoffen erkrankt oder gestorben sind, solchen Stoffen ausgesetzt? Das Problem dabei ist, dass sich auf solche Weise lediglich Korrelationen ableiten lassen, und diese mögen mit der unterstellten Ursache nichts zu tun haben. Etwa so wie in dem berühmten Storchenbeispiel: Es war einmal eine Zeit, in der ging mit der Anzahl der Storchenbruten auch die der menschlichen Geburten zurück. Wollte man – statistisch durchaus gesichert – nun aber Korrelation mit Kausalität gleichsetzen, käme etwas sehr Ulkiges heraus. Und tatsächlich, für Stickoxide ist in den hierfür relevanten Konzentrationen eine gesundheitsschädigende Wirkung bis heute nicht erwiesen.
Stickoxid ist ein körpereigenes Produkt
Erwiesen ist etwas anderes: Eines der Stickoxide, das Stickoxid par excellence – Stickstoffmonoxid (NO) – , ist ein von unserem Organismus selbst produziertes Gas. Für diese Entdeckung wurde an die Amerikaner Robert Furchgott, Ferid Murad und Louis J. Ignarro 1998 der Nobelpreis für Physiologie und Medizin verliehen. Stickstoffmonoxid ist ein chemisches Radikal, das als gasförmiger Signalstoff in unserem Organismus vielfältigste Funktionen ausübt. Innerhalb der Zellen sorgen spezielle Enzyme (Stickoxidsynthasen) dafür, dass das Stickstoffmonoxid von der Aminosäure Arginin abgespalten wird. Viele Nervenzellen nutzen NO als Neurotransmitter, NO weitet die Blutgefäße und dient zusammen mit Peroxynitrit, einem Produkt des NO-Stoffwechsels, der Abwehr von Bakterien und sonstigen Fremdorganismen wie auch der Beseitigung von Zelltrümmern (zusammen mit seinen Mitarbeitern ist der Autor an entsprechenden Forschungsarbeiten beteiligt).
Eine Reihe von Medikamenten, vor allem solche für Herz und Kreislauf, entfalten im Zusammenhang mit der Stickstoffmonoxid -Wirkung ihren therapeutischen Effekt. Dazu gehört auch die „Kraft“ von Viagra. Zur Behandlung von Neugeborenen mit Lungenversagen wird in speziellen Fällen Stickstoffmonoxid sogar dem Beatmungsgasgemisch beigegeben. Allerdings, wie hoch die Konzentration des Stickstoffmonoxids innerhalb von den Zellen ist, in denen es entsteht, kann trotz jahrzehntelanger Forschung bis heute niemand genau sagen. Ganz sicher aber weit, weit höher, als es den Abgasnormen entspricht. Außerdem gibt es spezielle Stoffwechselmechanismen, die die Zellen vor Stickoxid-bedingtem (nitrosativem) Stress schützen.
Und da will die politisch-mediale Klasse, gestützt auf die Meinung passender „Experten“, uns nun kundtun, wie gefährlich Stickoxid und dessen Verwandte ab einer willkürlich festgelegten Konzentration für den Menschen sind. Auf das Risiko hin, mit solcherart Alarm das Rückgrat unserer Wirtschaft zu ruinieren, nämlich das der Auto-Industrie. Möglicherweise für immer. Politik und die ihr geneigten Medien können sehr gefährlich sein, viel gefährlicher als (wenn überhaupt) die Stickoxide.