****       Sapere aude!        ****        
                 
Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
____________________________________________________________________________________________________________________________________________

Gerald Wolf, Gastautor. 12.02.2023 / 14:00 / Foto: Lance Cheung /U.S. Air Force/ 13 /


Her mit der Eignungsquote!


Es gibt alle möglichen Quoten, nicht immer zum Besten der Sache. Seltsam: Der Begriff „Eignungsquote“ wird nur im Zusammenhang mit der Zugangsberechtigung für bestimmte Studienrichtungen verwendet. Warum eigentlich?

Einschaltquoten gibt es, Quoten an der Börse, in der Fischerei, Gewinnquoten bei Sportwetten und wo sonst noch überall. Zum Beispiel im Personalwesen. Die markanteste davon ist die Frauenquote. Zur Neutralisierung, so das politische Kalkül, wird sie auch „Geschlechterquote“ genannt. Sie ist durchaus nicht identisch mit der Eignungsquote, denn darunter ist der Anteil Geeigneter zu verstehen, und zwar geschlechtsunabhängig. Eigenartigerweise wird der Begriff „Eignungsquote“ nur im Zusammenhang mit der Zugangsberechtigung für bestimmte Studienrichtungen verwendet. Der zum Studium der Medizin-/Zahnmedizinstudium, der Psychologie, Tiermedizin oder der Pharmazie. Nicht nur um Schulnoten geht es dabei, nicht nur um die Abi-Besten, als maßgeblich werden auch die Ergebnisse von Studierfähigkeitsprüfungen herangezogen. Darunter der Test für Medizinische Studiengänge (TMS) und der Hamburger Naturwissenschaftstest (HAM-Nat).
Physik, Chemie, Bio, Mathe und logisches Verständnis sind da gefragt, kein Gelaber. Die Zugehörigkeit zu Geschlechtskategorien spielt bei diesen Tests keine Rolle. Nicht die der biologischen Art, ob männlich oder weiblich also, noch ob da womöglich eine nicht-binäre Geschlechtsidentität vorliegt − genderfluid genannt, bigender oder agender. Auch das Studium selbst wartet mit Eignungsquoten auf. Sie mögen noch härter sein. Durchfaller-Raten zum Beispiel. Im Bauingenieurswesen betragen sie bis zu 50 Prozent! Aber auch das Leben an sich ist mit Eignungsprüfungen gepflastert, eine riesige Palette hält es dafür bereit. Durchfallen kann man beim Partner und erst recht in der Ehe, bei der Erziehung seiner Kinder, bei Freunden, im Leistungssport und − von großer Tragweite − im Beruf. Besonders schlimm wird es, wenn die Gesundheit versagt. Das Leben kann schön sein, sehr schön, aber auch hart, sehr hart.


Es gibt so etwas wie die biologische Evolution
Lebewesen, gleich ob Bakterien, Pflanzen, Tiere oder der Mensch, sind niemals perfekt. Und schon gar nicht ist es die Welt, in der sie leben. So förderlich wie nur möglich mit den jeweiligen Eignungsqualitäten umzugehen, ist ein Grundprinzip der Evolution. Gegensätze prallen hier hart aufeinander. Gnadenlos werden die Eignungstests durchgezogen, und die seit Urzeiten. Das Kalkül: Unter den Nachkommen sind hin und wieder solche, die durch rein zufällige Änderungen ihres Erbguts besser auf die − möglicherweise neuartige − Umweltsituation passen als die bisherigen. Über Generationen pflanzen sich die im Überlebens- und Fortpflanzungsgeschäft besser oder am besten Geeigneten erfolgreicher als die anderen fort. Auch wenn die Erfolgsquoten der Gut- oder gar Bestgeeigneten anfangs noch niedrig sein mögen, ergeben sich daraus über Generationen hin Ketten von schrittweisen Verbesserungen. Hier und da resultieren Verzweigungen, und das alles geschieht autonom, ohne jedweden steuernden Einfluss also. Selbstoptimierung ist das − Grundprinzip der biologischen Evolution. Ohne den steten Kampf um Eignung und Bessereignung gäbe es keine Lebewesen. Auch nicht uns Menschen. „Biologismus“ sei das? Nein, Biologie ist das!
Dennoch gibt es unter den Lebewesen nicht nur Kampf, sondern auch Partnerschaften. Im Tierreich zum Beispiel Rücksichtnahme auf Schwächere. So in der Nachkommenfürsorge und in sozialen Verbänden. Dennoch ist auch hier vermeintliche Selbstlosigkeit dem Überlebensprinzip der Art zuzurechnen, mithin seiner Evolutionsfähigkeit. Wie sonst sollten Jungtiere, die es zu füttern und zu schützen gilt, überleben? Wahre Selbstlosigkeit aber rührt uns in tiefster Seele an, Gänsehaut entsteht. Zum Beispiel wenn ein Hund sein Frauchen oder Herrchen vor dem Angriff eines Raubtieres schützt und dabei sein eigenes Leben einbüßt. Darin wähnen wir Menschlichkeit zu erkennen, insgeheim zumindest, weil nun mal das wahrhaft Gute einzig und allein uns Menschen zukomme, der „Krone der Schöpfung“. Umgekehrt empfinden wir das vermeintlich Böse im Tier als „unmenschlich“, zum Beispiel, wenn der neue Partner einer Löwenmama die Kinder seines Vorgängers totbeißt. In uns regt sich da so etwas wie ein „gerechter Zorn“, und der mit dem durchaus verständlichen Bedürfnis, den Verursacher zu bestrafen. Ja, ihn zu vernichten!
Wer sich der DDR-Jahre noch gut erinnert, weiß um den seinerzeitigen Vorzug, ein „Arbeiterkind“ zu sein. Oder der Bauernklasse zuzugehören. Denn das erleichterte den Zugang zum Studium ungemein. Anders, wer ein Angestelltenkind war oder gar einer Theologenfamilie entstammte. Heutzutage ist dieses Eignungsmaß obsolet. An seine Stelle ist ein anderes getreten, das über die Verwendungsfähigkeit von Kandidaten zu entscheiden vermag: der Ovarbesitz oder -nichtbesitz. Auch die Hautfarbe kann begünstigend wirken, wenn nicht gerade „weiß". Hingegen die Eignung für bestimmte Aufgabenbereiche durch Eignungsprüfungen festmachen zu wollen, zum Beispiel die für politiknahe Ämter, führe an der politischen Notwendigkeit vorbei. Benachteiligte beziehungsweise sich benachteiligt fühlende Männer lassen das geschehen. Auch gründen sie zur Gegenwehr keine Maskulistenclubs, sondern ziehen dorthin, wo ihre Leistung geschätzt wird. Deutschland hat bekanntlich nicht nur ein Einwanderungs-, sondern auch ein Auswanderungsproblem.


Geeignet, oder?
Ich erinnere mich meiner Mutter, wenn sie erzählte, sie habe mit der Heirat 1933 ihre Tätigkeit als Postangestellte aufgeben müssen, weil „Doppelverdiener-Ehen“ nicht erlaubt waren. Auch hatte per Gesetz der Ehemann und nicht die Ehefrau das Sagen, wenn es um die Haushaltführung ging, um einen Wohnortwechsel oder den Kauf einer Waschmaschine auf Raten. In der Bundesrepublik wurde der Stichentscheid des Ehemannes durch das Bundesverfassungsgericht erst 1959 gekippt, begründet durch den Artikel 3 des Grundgesetzes: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Dass speziell die Männer heutzutage oft das Nachsehen haben, wenn die Frauenquote (noch) nicht erfüllt ist, war seinerzeit nicht absehbar und hätte bei den Betroffenen wahrscheinlich zu Verfassungsbeschwerden geführt. Indes müssen nach wie vor die Besonderheiten der Mutter-Kind−Beziehung in Rechnung gesetzt werden. Zum Beispiel für kinderlose Männer und Frauen nach Art von Ausgleichszahlungen oder durch Erleichterungen im Berufsleben. Zugleich wäre das ein förderlicher Windstoß für die Populationsdynamik unserer Bevölkerung.
Quoten hin, Quoten her, selbst den meisten Frauen, die die Nutznießer einer Frauenquote sind, kommt eine Bevorzugung ihres Geschlechtes wegen nicht geheuer vor. Sie wollen keine „Quotenfrau“ sein, stattdessen ihre Position im Berufsleben einzig und allein wegen ihrer besonderen Eignung verdienen. Auch und gerade dann, wenn es um höherrangige, gutbezahlte Stellen geht. Denn so gut wie nie spielen Frauenquoten bei der Besetzung von Arbeitsplätzen niederen Ranges eine Rolle − im Bau, im Handwerk, in der Landwirtschaft oder am Fließband. Wenn schon Quoten, warum dann nicht anstelle der Frauen- oder „Geschlechter“-Quote geschlechtsunabhängige Eignungsquoten? Nicht nur um formale Kriterien wie Lernfähigkeit sollte es dabei gehen, und schon gar nicht um kurzfristige Lernerfolge, sondern eher vorrangig um Einsatzfreude, um logisches Denken, Zähigkeit, Ehrgeiz, Freude am Lernen, Eigenständigkeit, um eigene Ideen und die Befähigung, Außenstehende mitreißen zu können, insbesondere junge Menschen. Am anderen Ende der Palette greift die „Lahmarschigkeit“ platz − böse klingt das, wirkt aber ehrlicher als die Zumessung von „Antriebs- oder Motivationsschwäche“. Dafür ein probates Gegenmittel: der öffentliche Leistungsvergleich. Schamfähigkeit vorausgesetzt, vermag er Wunder zu bewirken.
Nach den ersten Versuchen am Klavier oder mit dem Aquarellpinsel oder, später dann, bei einer Weinverkostung wissen die meisten von uns: Das ist es mal nicht!  Ähnlich die Enttäuschung nach anfänglichen Erfolgen beim Schulsport im Weit- oder Hochspringen, beim Volley- oder Fußball oder nachdem man in der Mathe-Arbeit bei anfänglichen Einsen eine Vier eingeheimst hat. Immer gibt es da irgendwo im Umfeld Bessere. Erst recht im Fernsehen, dort geht es immer nur um Perfektion, um Leistungen, die für unsereinen nie erreichbar sind. Kaum jemals sieht man hier Versager, die als Mutmacher anreizen. Irgendetwas ist es dann doch, was wir recht gut können oder zu lernen imstande sind, aber nie reicht es zur Höchstform, nie für die Spitze. Woran liegt das? Woran bei uns und woran bei denen, die es bis zur Topform schaffen? Am elterlichen Drill, zum einen fehlend, zum andern ausschlaggebend? Wohl kaum.


Hat man oder eben nicht: Talent
Weit eher ist es die Begabung, mit anderen Worten das durch Erbanlagen „Gegebene“. Praktisch nie kommt dafür ein einzelnes Gen infrage, das man hat oder nicht, stattdessen eine günstige Kombination von vorteilhaften Genen. So gibt es kein einzelnes Gen, das für die Musikalität zuständig wäre, für mathematische Fähigkeiten oder Sportlichkeit, für ein quasi-fotografisches Gedächtnis, für handwerkliches Geschick, Empathie oder sprachliches Empfinden. Und immer gilt es, solche Gegebenheiten nicht einfach hinzunehmen, sondern durch Übung zu pflegen. Oft mit sehr viel Anstrengung. Nur so kommt Herausragendes zustande.
Auch mehr oder weniger Triviales mag genetisch begründet sein oder mitbegründet. Zum Beispiel die Glaubensfähigkeit oder, umgekehrt, die Neigung zur Skepsis. Manch einer ist bereit, ohne sonderliche Zweifel zu glauben, was die Masse glaubt, der sogenannte Mainstream. Gleich ob es sich um Religion oder Politik handelt, um die Neigung zum Aberglauben oder dazu, den Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln oder Homöopathika zu akzeptieren. Geborene Skeptiker hingegen glauben gerade das nicht und suchen, innerlich getrieben, nach Anhaltspunkten für ihre Zweifel. Nicht selten mögen diese ebenfalls fadenscheiniger Art sein.
Was also ist der Mensch, wer also, sollte sich jeder fragen, bin ich? Zusammengewürfelt aus Genvarianten und deren Realisierung auf der Zell-Ebene, aus Plus- und Minusvarianten von Talenten, aus Lebens- und Lernerfahrungen, aus Wissen, Unwissen, Glauben, Unglauben und Überzeugungen, aus Fähigkeiten und Fehlern, aus Zu- und Abneigungen und der Eignung für das eine oder das andere, jeder von uns ist:

Einzigartig!