Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
Selbst der geografieschwächste Schüler findet Italien auf Anhieb: der Stiefel, der ins Mittelmeer ragt. Aber dass der Stiefelabsatz Apulien heißt, wissen wohl nur die, die schon mal hier gewesen sind. Da ist keine Geschichtsepoche, die in Apulien nicht ihre Spuren hinterlassen hätte. Die Natur allerdings, die hat sich in die wenigen Lücken zurückgezogen, die ihnen die Landwirtschaft, der Weinbau, die vielen Olivenhaine und die Siedlungen überlassen haben.
a So mag man sich Apulien vorstellen: auf Bergeshöh' zwischen Olivenbäumen Dörfer und Städtchen mit weiß leuchtenden Häusern.
b Unterwegs sonnendurchglühte Hügel mit südländischer Flora und Fauna.
c Aber nicht immer glüht die Sonne, schon im Oktober leidet sie unter Schwindsucht.
d Sonderlich idyllisch sieht es in weiten Teilen selbst bei Sonne nicht aus: Weinfelder, die mit Plastikplanen abgedeckt werden, damit der Regen nicht die Ernte vermasselt.
a Apulien ist überwirtschaftet. Wer Natur pur sucht, muss anderswohin fahren. Aber schon ein Straßengraben oder eine Wegbiegung reichen, um der Natur zu begegnen. An einem Wegesrand die herrlichen Blüten des Herbst-Goldbechers (Sternbergia lutea).
b In unmittelbarer Nachbarschaft ein im Herbst blühender Krokus, der Langblütige Krokus (Crocus longiflorus). Die Pflanze kommt nur in Süditalien vor und auf Sizilien und Malta.
c Beim Fotografieren von (b) durch Zufall entdeckt: Mantis religiosa, die Gottesanbeterin. Im gesamten Mittelmeerraum bis hin nach Südasien verbreitet, sogar in wärmeren Gegenden Mitteleuropas.
d Kaum weniger bizarr, die Nasenschrecke (Acrida hungarica). Das Tier gehört in die Familie der Feldheuschrecken und ist typisch für ausgedorrte Brachen.
a Olivenhaine bringen offenbar Geld, auch aus Brüssel, obwohl der Rapsanbau zur Gewinnung von Speise-Öl bestimmt viel ökonomischer ist.
b Die Wunderblume Mirabilis jalapa. Aus Mittelamerika stammend, findet sie sich seit dem Mittelalter in den wärmeren Teilen Europas. Die Wunderblume spielt wissenschaftshistorisch eine Rolle, da der deutsche Biologe und Genetiker Carl Correns sie benutzte, um Gesetzmäßigkeiten bei der Vererbung zu demonstrieren. Zusammen mit ähnlichen Untersuchungen durch Hugo de Vries und Erich Tschermak führte dies um 1900 herum zur Wiederentdeckung der Mendelschen Vererbungsregeln.
c Podarcis sicula, die Ruineneidechse, ist häufig anzutreffen, auf zehn qm mitunter drei oder vier Exemplare. Typisch für das mittlere Mediterraneum.
d Könnte ein Komposthaufen sein, auf dem Topfpflanzen ausgekippt worden sind. Irrtum, es handelt sich um das Neopolitanische Alpenveilchen, Cyclamen hederifolium. Die Blätter entwickeln sich erst nach der im Herbst erscheinenenden Blüte.
a Lecce, eine 100 000 Einwohner zählende Stadt im Bereich des italienischen Stiefelabsatzes. Sitz eines römisch-katholischen Erzbistums. Kirchen und Paläste mit überbordendem Barock ("Florenz des Rokoko"), wofür vor allem die Regierungszeit von Karl V. gesorgt hatte.
b Hier auch findet sich ein römisches Amphitheater aus dem 2. Jh., in dem 20 000 Menschen Platz hatten.
c Am Stiefelabsatz der Badeort Santa Cesarea Terme. Menschen der verwöhnteren Art mögen sich hier wohlfühlen.
d Porto Badisco, ein paar Kilometer weiter nördlich. Der Kalkstein, überall auch im Inland von Apulien anzutreffen, sorgt für wildromantisch zerklüftete Küsten.
a Das Castello Arogenese in Tarent diente sowohl zur Verteidigung der Hafenstadt wie auch als Gefängnis.
b Putzig die Architektur der Häuser in der Region Martina Franca: kleine Rundhäuser mit Spitzdächern, Trulli genannt. Heute liebevoll ausgebaut, ziehen sie scharenweise Touristen an.
c Aber man kann die Trulli noch im Original sehen, mehr oder weniger zerfallen dann und sicherlich auch käuflich.
d Matera, eine 60.000-Einwohner-Stadt in Basilikata, der Nachbarregion von Apulien. Die Altstadt ist sehenswert in sich verschachtelt. Anders als in größeren Städten Deutschlands alles sauber, keinerlei Schmiereien, kein Vandalismus und – zur "Kulturhauptstadt Europas 2019" gekürt.
a Die Edel- oder Ess-Kastanie, Castanea sativa. Die stärkehaltigen Maroni, botanisch gesehen Nüsse, sind geschmacklich nicht jedermanns Sache. Manche tun so als ob, wohl nur um zu zeigen, wie viel ihnen an Esskultur liegt.
b Gar nicht gut schmecken die Wildbirnen, hier die Mandelblättrige Birne (Pyrus amygdaliformis). Davon und von anderem Wildobst und -gemüse haben sich unsere Vorfahren ernährt. Adipositas gehörte damals nicht zu den Volkskrankheiten.
c Auf Kalkfelsen und alten Mauern gelegentlich zu sehen, die Gargano-Glockenblume (Campanula gagarnica).
d Ein kleines, im Herbst besonders hübsch gezeichnetes Vögelchen, das um das Mittelmeer herum und in verschiedenen Unterarten bis hin nach Indonesien und Australien verbreitet ist. Ich hatte es zuvor noch nie gesehen. Es ist der Cistensänger, Cisticola juncidis.