Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – forderte der Philosoph Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren. Er hatte etwas viel von uns verlangt, aber ein wenig sollten wir ihm schon entgegenkommen. Jeder auf seine Weise. Hier die meine.
MAGDEBURG KOMPAKT 5. Jg. 2016, Nr. 84. 1. Dezember-Ausgabe, S. 8.
Gedanken im Fluge
Gerald Wolf
Im Jumbojet neulich. Die Motoren brummten und brummten, und ich fing an, mich daran zu gewöhnen. Am Einnicken dann, deuchte mich, eine Abstimmung sei im Gange: Die Passagiere hätten zu entscheiden, wie die Gewitterwolke vor uns umflogen werden solle, links oder rechts. Und in welcher Höhe. Demokratie in der Pilotenkanzel, n e i n ! Hellwach wieder, spann ich den Faden weiter. Vage tauchte vor mir eine Filmszene auf. Pilot und Kopilot hatten sich mit verdorbenem Essen vergiftet und rutschten langsam ins Koma. Da fragte eine Stewardess über die Lautsprecher bei den Passagieren an, wer sich denn getraue, die Maschine … O Gott, arbeitete es in mir, just dieselbe Situation in diesem Flieger hier, alles Laien, und niemand würde sich erkühnen, nach vorn zu gehen!
Die Augen wieder geschlossen, sagte ich mir, wie gut doch, dass da im Cockpit Leute sitzen, die ihren Beruf ordentlich gelernt haben – jahrelange Ausbildung, harte Prüfungen, zum Schluss das Examen. Ganz sacht hoben sich meine Mundwinkel und senkten sich schnell wieder, als ich an unsere Staatslenker dachte.
Staatenlenker, o Gott, ohne Berufsausbildung?
Und wie sie es jeweils schaffen, so weit nach vorn zu kommen. Für ihre Jobs gibt es weder Stellenbeschreibungen noch Prüfungen noch gar Examina. Jedenfalls ist davon nie zu hören gewesen. Egal ob Wirtschafts- oder Familienminister oder Verteidigungs-, Gesundheits- oder Finanzminister, es bedarf noch nicht einmal eines Eignungstests. Vielmehr entscheiden die Parteigremien über die Verwendbarkeit, und das wohl kaum anhand von fachlichen Kriterien. Wichtig vielmehr ist, wie gut man „rüberkommt“, im Fernsehen zum Beispiel oder am Rednerpult. Auch, was der Koalitionsvertrag hergibt, ob die Beliebtheit im eigenen und im anderen Lager hinreicht und ob das Geschlecht politikkonform ist. Kann eine Umweltministerin, Studium der Geschichte und Sozialwissenschaften, überhaupt eine Amsel von einem Star unterscheiden, das Wald- vom Hainveilchen? Weiß ein Landwirtschaftsminister, was an der Grünen Gentechnik so gefährlich ist, dass ihre Produkte der Kennzeichnungspflicht unterliegen, nicht aber die der „konventionellen“ Züchtungstechnik, in der mit Bestrahlung und chemischen Mutagenen gearbeitet wird? Versteht er die revolutionierende CRISPR-Cas-Methode überhaupt? Ist sich unsere Noch-und-baldwieder-Bundeskanzlerin, immerhin eine promovierte Physikerin, darüber im Klaren, dass „Energien“ überhaupt nicht erneuerbar sind?
Nicht etwa, dass es in den Parlamenten des Bundes und der Länder an echten Fachleuten mangelte. Die meisten Abgeordneten sind Juristen, die wenigsten allerdings Naturwissenschaftler, Mathematiker, Informatiker oder Ingenieure. In den Landtagen dürfte es ähnlich zugehen. Ausgerechnet sind es diese Fächer (MINT), die Deutschlands Platz in der Welt bestimmen. Etwa 2,3 Millionen erwerbstätige MINT-Akademiker leben hier, und diese bringen jährlich geschätzte 250 Milliarden Euro ein. Wären sie in den politischen Gremien stärker vertreten, sähe es mit der Wertschätzung der harten Disziplinen an den Schulen und Hochschulen besser aus. Und zugleich auch mit den Chancen unseres Landes für die Zukunft.
Von kundiger Fachhand gesteuert
hält das Flugzeug seinen Kurs. Ich bin dem Einschlafen nahe. Wo noch war denn da zu lesen, dass manche Vertreter unserer Politprominenz ihr Studium nicht geschafft oder einfach abgebrochen haben und dennoch Erfahrungen in hohen und höchsten Staatsämtern sammeln durften? Gott sei Dank nicht in diesem Cockpit hier! Annette Schavan entschied einst als Bundesministerin für Bildung und Forschung über das Wohl und Wehe von Forschungsstrategien in Deutschland. Von Haus aus Theologin und trotz gefälschter Doktorarbeit soll sie ihre Sache recht gut gemacht haben. Ist fachliche Qualifikation in derlei Ämtern gar nicht nötig, vielleicht sogar hinderlich? Und wie sieht das bei den Staatssekretären aus und den Abteilungsleitern? Auf welcher Sprosse nach unten hin wird denn nun endlich Fachwissen nötig? Und warum kommen die niederen Ränge, die Fachleute also, in der Politik nicht zu Wort, jedenfalls nicht so, dass wir sie im Volk hier drunten auch hören können? Hat man da weiter oben Angst, dumm dazustehen, wenn ihre versierten Mitarbeiter sprechen? So dumm wie das Volk, das ihre Politik und ihre in den Medien vertretenen Ansichten nicht versteht? Zum Beispiel, wieso links gut und rechts schlecht ist und konservativ gleich populistisch, nationalistisch, rechtsextrem oder braun?
MAGDEBURG KOMPAKT. Magazin 4, Sommer 2016,
Der Autor des untenstehenden Artikels und ich, Thomas Wischnewski, saßen bei einem halben Glas Rotwein. Als wir uns dann vor der Gaststätte verabschiedeten, fragte ich, ob er in meinem Auto ein Stück des Weges mitkommen wolle. Gerald Wolf lehnte das mit der Begründung ab: „Nein danke, ich stehe da oben.“ Natürlich meinte er damit sein eigenes Fahrzeug. Fast aber scheint mir, der Autor hat mit dem Ich so seine Probleme.
Will ich, was ich will?
Gerald Wolf
Ich will, was ich will! Was denn sonst? Zwar habe ich mitunter das Falsche gewollt, aber auch dann war ich es, der das gewollt hat. Dumme Frage. Oder?
Also ganz so dumm kann die Frage nicht sein, denn über die Antwort wird in der Geistesgeschichte seit langem gestritten. Ein Streit, der im Zuge der Hirnforschung erneut aufgeflammt und bis heute nicht zur Ruhe gekommen ist. „Ich denke, also bin ich.“ Diesen berühmt gewordenen Satz hatte einst René Descartes gesagt, ein französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler (1596-1650). Alles müsse bezweifelt werden, so sein Dictum, nur, dass ich es bin, der da zweifelt, könne nicht bezweifelt werden. Es sei das einzige Unbezweifelbare. Descartes Ansichten über das Ich und die Welt waren revolutionär, er gilt als Begründer der neuzeitlichen Philosophie. Selbst wenn wir träumen, sagte er, wenn unser Ich phantasiert oder wenn es ein Dämon verwirrt, könne man an der Existenz von diesem Ich nicht zweifeln. Eher noch an der Existenz der Welt, hieß es in der Folge von anderen Philosophen. Denn alles, was wir als Welt erleben, mag sich am Ende als Einbildung dieses Ichs erweisen. Und einige Philosophen behaupten das noch immer. Doch fragt man heutzutage eher umgekehrt, nämlich ob das Ich überhaupt existiert. Und wenn, ob diese Ich-Instanz in ihrem Willen so frei ist, wie wir bereitwillig annehmen. Denn die Freiheit des Willens ist der Maßstab aller Entscheidungen, auch dafür, inwieweit jemand für eine Tat haftbar, ja strafbar gemacht werden kann.
Zugegeben, die Frage,
was denn das Ich überhaupt ist
und ob der Wille tatsächlich frei sei, wirkt fürs Erste intellektuell überzogen. Was soll es da zu bezweifeln geben, dass ich es bin, der nach dem Löffel greift oder sich hinter dem Ohr kratzt? Wer sonst? Ich kann es wollen oder auch lassen. In der Psychologie spricht man vom Ich-Bewusstsein oder dem Selbstkonzept, und über das verfügt jeder von uns seit der frühen Kindheit. Ununterbrochen ist es dasselbe Ich, obwohl die Stoffe, die den Körper aufbauen, durch den Zellstoffwechsel ständig ausgetauscht werden. Auch die Substanzen, aus denen das Gehirn besteht. Wie eigentlich kann das sein? Immerhin verliert man, sobald der Schlaf einsetzt, dieses bewusste Sein, erlangt es aber mit dem Erwachen prompt wieder. Auch nach einer Narkose ist das so, wenngleich nicht ganz so prompt. Ebenso nach einer schwereren Kopfverletzung. Allerdings gibt es tragische Fälle, bei denen das Bewusstsein nicht wieder erlangt wird. Oder es taucht wieder auf, aber lückenhaft (retrograde Amnesie genannt). Es gibt auch Fälle, in denen die Erinnerung an das frühere Sein überhaupt nicht wieder auftaucht. Menschen, die ihr biografisches Gedächtnis verloren haben, empfinden sich gewissermaßen als geschichtslos. Sie fragen sich zu recht: „Wer bin ich?“ Kinder scheinen noch bis zum Ende des zweiten Lebensjahres nicht zu einem Selbstkonzept in der Lage zu sein. Obwohl sie bereits die ersten Worte sprechen, das „Ich“ und das „Mein“ tauchen erst später auf. Interessant auch die Spiegelversuche, mit denen man Tiere auf ein Ich-Bewusstsein hin prüfen kann. Schimpansen, denen man zum ersten Male in ihrem Leben einen Spiegel in den Käfig stellt, geraten darüber in helle Aufregung. Ständig beäugen sie ihr Spiegelbild, schneiden Fratzen und drehen dem Spiegel gar ihr Hinterteil zu, um in dessen Öffnung zu bohren. Etwas, was sie bisher an sich selbst so nie beobachten konnten. Ein Farbfleck, der den Tieren heimlich ins Gesicht platziert wurde, lässt sie erschrecken, und dann versuchen sie, ihn durch Wischen – nicht am Spiegel, sondern in ihrem Gesicht (!) – wieder loszuwerden. Einige andere Tierarten erkennen sich offenbar ebenfalls als ein Ich im Spiegel, darunter Delfine und Graupapageien. Nicht aber der Hund, nicht die Katze.
Die Frage nun, wo ist das Ich zuhause? Ganz sicher nicht im Herzen oder sonst wo im Körper. Die Organe können durch eine Transplantation ausgetauscht werden, ohne dass das Ich mitverpflanzt würde. Nein, nur das Gehirn kommt als Sitz des Ichbewusstseins in Frage. Aber wo genau hat es seinen Sitz? So sehr man bisher auch suchte, nichts von der Art eines Ich-Zentrums wurde gefunden, geschweige denn so etwas wie eine präsidiale Nervenzelle, die für das Ich-Bewusstsein zuständig ist. Sigmund Freud, der österreichische Neurologe, Tiefenpsychologe, Kulturtheoretiker und Religionskritiker, ging von drei verschiedenen Ich-Formen aus: dem Über-Ich, das sich vom Ideal, vom Gewissen, leiten lässt, dem Es, das aus dem Unbewussten, aus der Triebsphäre heraus wirkt, und dem eigentlichen Ich, das als die bewusst erfahrende und handelnde Instanz von den zuvor genannten Ich-Sphären gesteuert wird.
Libets Experimente
Die Sache mit dem Ich ist seit den Experimenten des US-amerikanischen Hirnphysiologen Benjamin Libet (1916 - 2007) noch komplizierter geworden. Sie scheinen das Bewusstsein eines Ichs als bloße Illusion nahezulegen. Libets Versuchspersonen hatten den Auftrag, in einem Zeitraum von 10 Sekunden einen bestimmten Finger zu heben. Wann genau, war ihnen überlassen. Nur mussten sie sich anhand eines schnell umlaufenden Zeigers merken, zu welchem Zeitpunkt sie den Finger heben wollten. Über Elektroden, die auf der Kopfhaut angebracht waren, wurde ein sogenanntes EEG (Elektroenzephalogramm) aufgezeichnet. Damit ließen sich die Signale registrieren, die von der für die Fingerbewegung zuständigen Hirnregion ausgesendet werden. Erwartungsgemäß gingen diese Signale der Fingerbewegung um etwa eine fünftel Sekunde voraus. Sie sollten, so die anfängliche Vermutung, mit der Entscheidung „Jetzt will ich!“ zusammenfallen. Das aber erwies sich als falsch! Jeweils etwa eine drittel Sekunde vor dem „Ich will!“ gingen, von der Versuchsperson gänzlich unbemerkt, von einer vorgelagerten Hirnregion sogenannte Bereitschaftspotenziale aus. Der Wille zur Handlung scheint demnach durch unbewusst bleibende Hirnaktionen vorgezeichnet zu sein. Das aber hieße doch wohl nichts anderes, als dass die Freiheit des Willens eine Illusion ist. Nicht ich entscheide, was ich und wann ich was will, sondern eine Hirnregion, von der ich nichts weiß! Von anderen Forschern wurden die Libetschen Experimente nachgestellt, zum Teil auch verändert. Zum Beispiel derart, dass die Versuchsperson aufgefordert wird, sich in dem genannten Zeitraum zu entscheiden, ob sie eine Taste auf der linken oder auf der rechten Seite drückt. Herauskommt im Wesentlichen immer wieder eine Bestätigung der bisherigen Befunde.
Die Aufregung ob solcher Erkenntnisse ist groß. Die Debatten führen bis zu der Behauptung, kein Mensch könne für das verantwortlich gemacht werden, was er tut oder lässt. Denn das setze ja die Freiheit des Willens voraus. Diese aber sei durch die Neurophysiologie in Frage gestellt. Ein Grundsatz des Strafrechts ist, dass sich eine Täterin oder ein Täter hätte ja auch anders verhalten und so die Straftat vermeiden können. Hätte sie, hätte er? Warum, so muss man sich dann fragen, haben sie sich denn nicht anders verhalten? Konnten sie nicht, sagen manche Wissenschaftler, eben weil es ihr Gehirn nicht anders gewollt hat. Allerdings, und das ist der Punkt, würde eine solche Entschuldigung unsere gesellschaftliche Ordnung vollständig aushebeln, etwa nach dem Motto: „Nicht ich, nein, mein Gehirn war‘s!“ Allerdings gibt es mittlerweile auch Befunde, die aufgrund von Blutflussveränderungen im Gehirn eine andersartige Interpretation zulassen: Je stärker sich die Versuchsperson auf das Wann und Ob der Ausführung konzentriert, desto größer ist die zeitliche Kluft zwischen dem Wollen und der Ausführung, und umso mehr rückt der Zeitpunkt der Ausführung an die Entstehung der Bereitschaftspotenziale heran. Am Ende so weit, dass das, was wir als den Willen empfinden, etwas Bestimmtes zu tun, mit der Entstehung der Bereitschaftspotenziale zusammenfällt.
Einen Selbstversuch bitte!
Ich möchte Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, zu einem Selbstversuch verleiten: Setzen Sie sich in einer freien Stunde ganz entspannt in Ihren Sessel. Nur um Ihr Ich zu beobachten. Nämlich wenn es anfängt, etwas Anderes zu wollen, als eben mit Ihnen bloß so dazusitzen. Denn irgendwann wird Ihnen die Sache zu bunt, sie wollen aufstehen. Gründe dafür finden Sie viele: Die Praline da auf dem Tisch, die lockte schon von Anfang an, überhaupt muss der Tisch abgeräumt werden, auch die Zeitung wartet im Briefkasten, sie wollen mal nach dem Wetter schauen, die Freundin anrufen, den Freund, der Weg zum Supermarkt winkt. Nur eben, all diese Bedürfnisse und Notwendigkeiten hatte es schon zu Beginn des Selbstversuchs gegeben. Warum stehen Sie jetzt auf und nicht anderthalb Sekunde später oder früher? Was ist das in Ihnen, dass da sagt „Jetzt!“? Und bei Tieren? Denken wir an eine Fliege, die ruhig an der Fensterscheibe sitzt. Sie tut das nicht bis in alle Ewigkeit. Irgendwann fliegt sie auf, auch ohne dass es dazu eines äußeren Anlasses bedarf. Warum fliegt sie jetzt auf und nicht anderthalb Sekunde später oder früher? Verfügt ein Tier, selbst wenn es von der Art einer Fliege ist, ebenfalls über einen eigenen Willen? Über einen freien Willen gar? Oder noch bizarrer: Verfügt die Fliege über so etwas wie ein Ich?
MAGDEBURG KOMPAKT 5. Jg. 2016, Nr. 72. 1. Juni-Ausgabe, S. 22
Von innen nach außen und von außen nach innen: Spiegelungen der Seele
Gerald Wolf
Das Antlitz ist der Spiegel der Seele, heißt es. Gut. Und wie nun sieht es mit diesem Spiegel aus, so im Allgemeinen? Es genügt, sich auf der Straße die Gesichter der Leute anzusehen. Gleich ob jung oder alt, eher ausnahmsweise sind sie gewinnend. Die meisten wirken stumpf, verschlossen, unfroh. In anderen Ländern ist das anders. Wir sind eben die Muffel-Deutschen. Ein Kontrollblick in den Spiegel dann – o Gott, auch nicht besser! Kann doch eigentlich gar nicht sein, denn die Innenansicht von mir ist eine ganz andere, ist die einer Frohnatur. Beim Versuch zu lächeln, grinst es verkniffen aus dem Spiegel heraus. Je mehr ich mich bemühe, umso schlimmer wird die Grimasse. Ein Test müsste her: Unter die Leute gehen, sie wohlwollend anlächeln und per Selfie ein Selbstporträt schießen. Natürlich nicht. Nein, einfach die Entgegenkommenden freundlich anlächeln. Auch wenn die meisten das vielleicht gar nicht mitkriegen. Oder verdutzt zurückblicken. Oder gar denken, ich hätte sie nicht alle. Wenn es aber klappt, dann geht ein Punkt an mich.
Der Versuch läuft besser als gedacht
Die meisten merken es, dass man sie anschaut. Viele schalten auf ein Gegenlächeln um. Zögernd zunächst, doch dann ist es, als ob sie für kurze Zeit einen Blick in ihre Seele gewähren. Mein Herz lächelt mit. So könnte man den ganzen Tag verbringen. Der Mut wächst, in den nächsten Gang hochzuschalten: Die Leute ansprechen. Wildfremde Leute ansprechen! Das ist gar nicht so einfach, denn man könnte sich einen Korb holen. Es gibt Menschen, die würden lieber von der Leiter fallen als sich einer solchen Peinlichkeit auszusetzen. Allerdings, sage ich mir, wenn jemand derart verkorkt ist, dass er auf ein freundliches Ansinnen blöd reagiert, dann sollte er es sein, der sich schämt. Nicht ich.
Ich beginne auf der Elbuferpromenade. Vor mir trippelt eine ältere Dame, ihr Hund, dicklich, kurzbeinig und schniefend, lässt kein höheres Tempo zu. „Der Wauwi braucht mal eine Pause!“, gebe ich freundlich zu wissen. Die Dame guckt an mir hoch, befremdet, dann hellt sich ihr Blick auf. Nicht lange, und ich weiß alles über ihren Hund, auch, dass der Ehemann vor drei Jahren gestorben ist und dass sie seitdem … Ich lege der Dame begütigend die Hand auf die Schulter, ich müsse nun rasch weiter. Sie nickt verständnisvoll und belohnt mich mit einem erquicklichen „Schönen Tag auch!“ Im angrenzenden Park dann. Ein jüngerer Mann lehnt auf einer Parkbank und blinzelt verdrießlich in die Gegend. Ich setze mich ans andere Ende. „Langweilig, hm?“, starte ich. „Was, hm?“, gibt er missgelaunt zurück. Ich lache, und er, auf einmal ganz verwandelt, strahlt. Bald darauf versuche ich es mit Kindern, die gerade aus der Schule angeschlendert kommen. Frage nach dem langweiligsten Fach, und welches sie am meisten mögen. Auch, was jeder von ihnen einmal werden will. Ich bändle mit einer Familie an, die dabei ist, ihrem Kindchen die ersten Schritte beizubringen. An der Elbterrasse grüße ich einen Angler mit „Petri-Heil!“, frage, ob er schon mal einen Wels angelandet hat, und wenn ja, wie groß. Schließlich die Kassiererin im Supermarkt. Mein Geld wäre alle, klage ich, hier könne man doch wohl anschreiben lassen. Ihr Blick sagt: „Der ist irre!“ Ich schmunzle besänftigend, und sogleich gibt sie das Schmunzeln zurück. Deutlich verschönt ist die junge Dame auf einmal.
Ist der da irre?
Alle lächelten nach meiner Freundlichkeitsattacke weiter, nicht breit, eher war es ein fast mikroskopisch feines Lächeln. Als klömme aus der Tiefe ihrer Augen ein Stück ihrer Seele herauf. Offenbar auch aus meinen Augen. Denn ich spürte im Blick der Anderen zunächst ein Forschen, von wegen ob denn meine Freundlichkeit auch von der redlichen Art sei, und bei bestandener Prüfung dann die Erlösung, der Verstehen signalisierende Blick. Feinste Muskelfasern um die Augen und im Mundbereich sind es, die unsere seelische Befindlichkeit ausdrücken. Sie werden nach Art von Automatismen durch die Basalganglien unseres Gehirns gesteuert. Und die wieder von den limbischen Regionen, in denen unsere Gefühle gebraut werden. Ebenso feingestimmt ist unser Sinn für den mimischen Ausdruck des Gegenübers und für die Klangfarbe seiner Stimme.
Probieren Sie es mal! Sie werden genauso wie ich erstaunt sein, wie bereitwillig sich Wildfremde aufschließen lassen. Vorausgesetzt, Sie selbst kommen ihnen gewinnend entgegen. Also sich etwas mehr einfallen lassen, als bloß übers Wetter zu reden. Schon stelle ich mir vor, hieraus entwickele sich ein neuer Breitensport.
Ich weiß, was Sie jetzt denken: Sozial-Kitsch!
MAGDEBURG KOMPAKT 5. Jg. 2016, Nr. 70. 1. Mai-Ausgabe, S. 18.
MAGDEBURG KOMPAKT ruft:
Auf, auf zum fröhlichen Jagen!
Gerald Wolf
Nicht mit der Knarre wollen wir jagen (das wäre ja auch nicht sonderlich fröhlich), nur mit offenen Augen, bewaffnet vielleicht mit Fernglas und Fotoapparat. Und nicht um Hasen oder Rehe geht es uns, sondern Eindrücke wollen wir erbeuten, solche, wie sie uns die Natur verschafft. Dr. Fritz Rothe und ich werden dabei assistieren.
Wenn der eine oder andere meint, in der Magdeburger Gegend ist mit Natur nicht viel los, mag er im Recht sein. Grün gibt es zwar in Hülle und Fülle, aber es ist das Grün der industriell betriebenen Land- und Forstwirtschaft. Kulturlandschaften rundum, vom Menschen für den Menschen geprägtes Gelände. Doch selbst wenn wir nur an einem Feldrand entlanggehen oder über eine Wiese laufen, werden wir mehr entdecken, als uns vielleicht lieb ist, vorausgesetzt, wir schauen sehr genau hin. Zum Beispiel werden wir erkennen, dass all das, was da gelb blüht, nicht einfach „Butterblumen“ sind. Im Register von Pflanzenführern gibt es die Butterblume gar nicht. Hierzulande warten hunderte verschiedener Pflanzenarten mit gelben Blüten auf. Mit viel Mühe kann man sie alle kennenlernen. In einem langen Botaniker-Leben sogar sämtliche der 4000 verschiedenen Pflanzen, die von der Küste bis hin zu den Alpen wachsen. Aber niemanden gibt es, der all die Gattungen und Arten der hiesigen Tierwelt zu benennen weiß. Zigtausende sind es!
Schlagartig bunt geht es zu
wenn wir Gefilde erreichen, die vom Menschen links liegengelassen wurden – Gräben und Tümpel, die urbar zu machen sich nicht lohnt, Böschungen, die sich nicht oder nur ausnahmsweise der Düngung und der Mahd ergeben müssen, hier und da auch letzte Feldhecken. Sogar regelrechte Kostbarkeiten finden sich im Magdeburger Raum: alte Elb-Arme mit üppig wachsender Vegetation, ungenutzte Uferbereiche der Stromelbe in Höhe Krakau und Prester, und weiter nach Süden hin ein wahres Juwel: die Kreuzhorst. Größtenteils besteht sie aus Wald, der uns einen Eindruck davon verschafft, wie Wald früher einmal ausgesehen hat. Knapp 3 km² wurden als Naturschutzgebiet gerettet. Mit dem 11. Jahrhundert gehörte dieses Fleckchen zum Kloster Unser Lieben Frauen, und so blieb es lange Zeit. Andernfalls hätten wir da heute ebenfalls Raps- und Maisfelder. Dorthin, in die Kreuzhorst, laden wir sie ein!
Ein Auwald empfängt uns, und mit ihm eine ganze Reihe an Baum-Arten: Eschen, Hainbuchen, Rotbuchen, Stieleichen, Feldahorn, zwei oder drei Arten von Ulmen, Wildapfel und Wildbirne. Wer sich nicht sicher ist, was er da für einen Baum vor sich hat, werfe einen Blick in seinen Naturführer, und schnell sind die Zweifel beseitigt. Oder auch erwacht. Zwischen den Bäumen finden sich Sträucher, von denen jedermann den Schwarzen Holunder kennt, manche den Roten Hartriegel, vielleicht auch die beiden Arten vom Weißdorn, das Pfaffenhütchen und den Faulbaum. Oft sind die Sträucher durchrankt von Hopfen, Efeu und der Waldrebe. Am Ufer der Alten Elbe wächst die Schwarzerle und, neben vielen anderen Weiden-Arten, die Silberweide. Nach unten geblickt, finden wir zwei oder drei Arten von der Taubnessel und vom Ehrenpreis, die Knoblauchsrauke, den Wiesenkerbel, die Echte Nelkenwurz, den Gundermann, und, wenn auch schon verblüht,
Wald-Goldstern, Scharbockskraut, Buschwindröschen,
das Wald- und das Hain-Veilchen. Viele weitere Pflanzen werden wir entdecken. Manche sind giftig, andere heilen. Wenn nicht wirklich, so doch wenigstens durch den Placebo-Effekt, allein durch die Erwartung also, dass sie heilen. Natürlich sehen wir auch Süß- und Sauergräser. Deren Artbestimmung verlangt aber etwas mehr an Mühe. Ebenfalls Mühe werden wir haben, um Vögel zu beobachten, einfach, weil sie sich zu dieser Zeit im Blattwerk verstecken. Doch tun sie uns den Gefallen, sich durch Gesänge bemerkbar zu machen. Wer oder was da gerade singt, versuchen wir herauszukriegen. Sehr hilfreich dabei: eine Vogel-App, z. B. BirdBox. Ein Buchfink ist es, der da singt, vermuten Sie? Den Namen eingetippt, und schon schrillt es aus Ihrem Handy: „Dididi da Würzgebühr“.
Die Palette der Tierarten wird kunterbunt, wenn wir uns in die Schicht der Kräuter und Gräser hinunterbücken. Insekten und Spinnen gibt es da zu sehen, denen Sie schon oft begegnet sein mögen, die Sie aber nie wirklich wahrgenommen haben. Einige davon werden wir, Dr. Rothe und ich, vielleicht kennen, das meiste aber nicht. Tage und Nächte müsste man mit dem Stereomikroskop und mit Stößen an Bestimmungsliteratur verbringen, um herauszukriegen, was sich da auf einem einzigen Spaziergang so alles einsammeln lässt.
Wir wünschen uns gutes Wetter und allen viel Freude!
MAGDEBURG KOMPAKT 5. Jg. 2016, Nr. 68. 1. Aprilausgabe, S 6.
Angst und Ängste
Rums, da ist es passiert! Die Angst der sich miteinander so gut vertragenden Altparteien wurde zur Wirklichkeit, ein Stachel piekt nun in ihrem Sitzfleisch: eine (noch) ungezähmte Opposition. Erstaunlich groß war der Teil der Wähler, der mit seinen eigenen Ängsten nicht länger allein sein wollte. Das politische Establishment sollte ebenfalls Angst bekommen, nämlich mit seinen Begründungen und Entscheidungen nicht mehr ohne Weiteres akzeptiert zu werden und, zum anderen, um angestammte Pfründe, Posten und Pöstchen bangen zu müssen.
Eher Sache der Psychiatrie und Hirnforschung?
Angst und Ängste, Furcht und Phobien waren bisher eher Sache der Psychiatrie und der Hirnforschung. Seit einiger Zeit aber sprechen häufiger Politiker und Journalisten von Ängsten und Phobien. Als ob man es nicht mit Bürgern, sondern mit Patienten zu tun hätte. Von Fremdenfurcht ist zu hören und zu lesen, von Xenophobie, von Islamophobie, von Angstbürgern. In der Wahrnehmung des Autors war zunächst von „dumpfen Ängsten“ die Rede, gleichsam krankhafte Zustände also, von denen zum Beispiel die Sympathisanten der PEGIDA-Bewegung befallen seien. Um eine wirklichkeitsferne Islamisierung ginge es denen und um vermeintlich unbotmäßige Belastungen der deutschen Bevölkerung durch einen angeblich nicht mehr beherrschbaren Zuwandererstrom. Das Deutschnationale sei in Auflösung begriffen, so würde da befürchtet, und mache zunehmend ethnischen Grundsätzen der Zugewanderten Platz. Von offizieller Seite hielt man dagegen, es gäbe ein demografisches Problem, man sei besorgt, Deutschland könne durch sinkende Geburten seine Spitzenposition in Europa hinsichtlich Bevölkerungsdichte verlieren, mithin auch an Wirtschaftskraft. Die Migranten böten eine hochwillkommene Chance. Darauf reagierten Teile der Bevölkerung mit der Angst, dass Deutschland, obwohl ein vermeintlich reiches Land, seinen auf 2 Billionen Euro angehäuften Schuldenberg durch die massenhafte und unkontrollierte Zuwanderung noch weiter vergrößern müsse, schon um auf seinem hohen Sozialleistungs- und niedrigem CO2-Ausstoßungsniveau bleiben zu können. Auch wuchs die Angst vor zunehmender Kriminalität und steigender Gewalt bei abnehmender polizeilicher Potenz, ebenso die Angst vor sexuellen Übergriffen seitens testosteronisierter Ausländer, und dass der außer Landes getriebene IS in unserem offenherzigen Deutschland seine neue Mitte finden könne. Natürlich gibt es ebenfalls Angst und Ängste auf Seiten der Politik, vor allem die Bevölkerung könne durch ungünstige Nachrichten beunruhigt werden. Auch an Bereitschaft verlieren, in die Betreuung der Zuwanderer und deren Integration Geld und Mühe zu investieren. Wovor wiederum die sogenannte Asylindustrie Angst hat, ebenso manche der wohltätigen, einschließlich kirchlichen Organisationen.
In der großen Politik spricht man nicht gern von Ängsten, hier werden Sorgen gepflegt. Zum Beispiel, nicht recht definieren zu können, in was sich die nach Deutschland gekommenen Menschen integrieren sollen, da das An-sich-Deutsche zugunsten des Gesamteuropäischen, ja des Globalen, am Verschwinden ist. Deutsch zu sprechen, zumal nur gebrochen Deutsch, könnte es doch wohl allein nicht sein. Auch die Sorge, Deutschland würde sich durch seine Willkommenspolitik in Europa isolieren, der EU gar einen – dem Wesen nach gutgemeinten – Dolchstoß versetzt haben. Sorgenvoll wird an die Entwertung des Euro und die der Sparguthaben gedacht oder an die Gefährdung der Altersvorsorge durch die immer höher tourende Geldpresse. Ebenso daran, Deutschland könne wegen der Niveauabsenkung im Bildungsbereich und durch Relativierung des Best-Eignungsprinzips in der Personalpolitik seine Weltmarktposition verlieren. In manchen Auslandsmedien werden wir Deutsche wegen der Willkommenspolitik als „hirnlos“, als „brainless“ bezeichnet, als antinational, ja als selbstmörderisch. Mehr und mehr geht nun die Angst bei den auf Konsens bedachten Altparteien um, die Bundeskanzlei könnte — personell zunehmend alternativlos geworden — nicht passend besetzt sein, und umgekehrt hat die Bundeskanzlerin Angst, sie könne, obwohl ohne Alternative, nicht die passende sein. Aber anders als bei anderen Nationen müssen die hiesigen Regierenden keine Angst vor dem Volkszorn haben. Viel eher tendierten Deutsche, vielleicht gerade mal zähneknirschend, zu der Ansicht: Wenn nicht die, die wir gewohnt sind, wer denn dann? Hauptsache, unsere Wirtschaftskraft trägt noch eine Weile, gleich ob dank der Politik oder trotz der Politik.
Was, müssen wir uns fragen, lässt sich gegen all diese Ängste unternehmen? Eine Möglichkeit ist, die Ursachen für die Ängste einfach wegzuerklären. Jedenfalls ist das besser, als mit Schönfärberei zu beruhigen. Viel überzeugender geht es mit Parteilichkeit: Das, was politisch gewollt, also gut ist, von der Tendenz her in den Vordergrund stellen und zusammen mit Belanglosigkeiten (Zuschauersport, Vorwahlkampf und Wetterkapriolen in den USA) ordentlich ausbreiten, dafür anderes verschweigen. Lügenbeine sind kurz, Verschweigen trägt weiter.
Schön bunt und lieb!
Ein Beispiel: Wenn es um Migranten geht, dann Frauen und Kinder zeigen, aber hintanstellen, dass 90 von 100 Zuwanderern junge Männer sind. Oder: Abschiebeszenen bringen, von wegen, wer hier nicht hergehört, der gehört abgeschoben — dafür verschweigen, dass die Abschiebung nur in Ausnahmefällen gelingt, viel Geld kostet und nicht garantiert, dass die Abgeschobenen einfach wiederkommen. Sehr gut macht sich vorzuführen, mit welchem Eifer Integrationskurse besucht werden. Diejenigen, die sich weigern, lustlos rumhängen oder gar „Scheißdeutschland“ an die Wände schmieren, sind als untypisch zu ignorieren. Auch gehört es nicht an die große Glocke, dass es mit Menschen aus Ostasien kaum Integrationsprobleme gibt, deren Kinder bessere Schulleistungen erbringen als die deutschen. Und wenn schon Ausländerkriminalität, dann sind diese grundsätzlich als Einzelfälle zu werten. Die Nennung der Nationalität muss Ausnahme bleiben. Kriminalität gibt es ja auch bei den Deutschen, obschon besonders gravierend bei Familien-Clans mit Migrationshintergrund und deutschem Pass. Ebenfalls sehr zu empfehlen, bei Kundgebungen oppositioneller Kräfte die linksextremen reibungsintensiven Freunde der Demokratie einsetzen, um durch sie für die rechte Stimmung sorgen zu lassen. Und besonders wichtig: Andere Meinungen, weil sowieso irrig, als aufgebauscht deklarieren bzw. als Hetze entlarven. Hochwirksam ist es, Oppositionelle als Angehörige niederer Schichten hinzustellen, und ganz besonders, ihre politisch verqueren Ansichten als solche mit Gaskammergeruch zu demaskieren: „braun“, „Nazi“, „völkisch“. Sehr überzeugend auch ist es, in Bildberichten Oppositionelle mit Schreckgestalten der rechtsextremen Szene zusammenzuschneiden. Schließlich wird die Öffentlichkeit, auf solche und ähnliche Weise geläutert, bald wieder an Zuversicht gewinnen. Sie verliert ihre Ängste und sagt sich, die da oben, die wissen Bescheid, auf die können wir weiterhin bauen!
Die Mandelkerne
Wenn dann die Bevölkerung noch immer ihre Ängste behält, indem die Mandelkerne in ihren Hirnen unbeirrbar Warnsignale aussenden, dann, ja dann … — Also, man kann ja nicht jedem wie einem hochrangigen Politiker eine gepanzerte Limousine zur Verfügung stellen oder personellen Schutz angedeihen lassen. Der Personenschutz besteht aus Menschen, die ebenfalls ein Schutzbedürfnis haben, und deren Beschützer und ihre Familien und Freunde desgleichen. Ebenso geht es nicht an, jeden x-beliebigen Menschen wie einen Polizisten mit Brustpanzer auszustaffieren und zu bewaffnen. Es muss genügen, diesen unseren Menschen zu sagen, sie brauchten einfach keine Angst zu haben. Sollten dann immer noch Ängste zu verzeichnen sein, gibt’s schließlich die Anxiolytika, jene Medikamente also, die die Angst dämpfen.
Angst als Teil unserer Grundausstattung
Angst hat das Neugeborene nicht. Erst mit etwa acht Monaten zeigt es dieses Gefühl. Dann nämlich ist das Gehirn so weit gereift, etwas als ungewöhnlich zu erkennen und entsprechend mit Angstgefühl zu reagieren. Das passiert spontan, also ohne zuvor auch nur im Mindesten unangenehme Erfahrungen mit dem Ungewöhnlichen gemacht zu haben, mit dem Fremden. Die Fähigkeit, Angst zu empfinden, verlässt uns das gesamte Leben nicht mehr, sie gehört zur Grundausstattung der menschlichen Seele. Ebenso zum elementaren Verhaltensinventar der meisten Tiere, allemal der höheren. Überall begegnet man bei Gefahr denselben Verhaltensmustern: Flucht oder Verteidigung oder Erstarren. Dass ein solches angstgetragenes Verhalten lebensrettend sein kann, zumindest vor Schäden bewahren mag, liegt auf der Hand, und auch nur deshalb ist es so verbreitet. Bei Erkenntnis der Harmlosigkeit von bislang Ungewohntem schleift sich die Angstreaktion ab, Vertrauen stellt sich ein, Zutraulichkeit. Dem Menschenkind helfen Mama und Papa, Vertrauen zu entwickeln. „Nun guck doch mal, Paula, die süße Miezekatze, die gute“, heißt es dann. „Die tut dir nichts. Ganz, ganz lieb ist sie!“ Und zur Bestätigung wird das Katzentier gestreichelt. Bis auch Paulinchen mitmacht und das ursprünglich furchtauslösende Objekt zum Knuddeltier wird. Ebenso lernt das Kind, seine Furcht vor dem fremden Onkel zu verlieren, vorm Dunkel, vor der Maus, der Spinne, der Schule, am Ende sogar vor einer Ringelnatter. Aber wir lernen noch mehr, denn da erweist sich die Freundin als eine falsche Schlange, und Timo von nebenan als ein falscher Freund. Manche lernen es nie so recht, ihre Vertrauensseligkeit aufzugeben, und andere nie, Vertrauen zu entwickeln. Gleich ob Freunden, Bekannten oder Kollegen gegenüber, oder Politikern oder den Medien.
MAGDEBURG KOMPAKT 5. Jg. 2016, Nr. 67. 2. Märzausgabe
Im Wald und auf der Heide
Rund 4000 Pflanzenarten gibt es in Deutschland, ein Großteil davon ist gelbblühend. Da heißt es, sehr genau hinschauen! Zum Glück für die Bestimmerei nach Buch sind die meisten dieser Pflanzen selten. Was nicht alles findet sich in unserem Atlas an Abbildungen von Pflanzen mit gelben Blüten, Namen wie Kriechender Hahnenfuß, Scharfer Hahnenfuß, Gemeiner Löwenzahn, Rauer Löwenzahn, Herbstlöwenzahn, Wiesenbocksbart, Gelber Steinklee, Feld-Klee, Hopfen-Klee ... Ein paar Seiten weitergeblättert das Johanneskraut, und das in vier Arten. Johanneskraut, steht dieser Name nicht etwa auf der Schachtel mit den bräunlichen Kapseln? Die gegen Depression? Könnte das da vor uns dieses Johanneskraut sein? Oder doch eher der Huflattich? Krebserregend sei er, steht da zu lesen. Huflattich und krebserregend? Huflattich-Tee, das war das ekelhafte Gebräu, das die Großmutter unsereinem als Mittel gegen Husten eingeflößt hatte!
Einmal kurz hingekniet
und – o Gott, was sich da dem Blick auftut! Im Zickzack laufende Ameisen, eine von etwa 70 heimischen Arten. Ein zwergenhafter, metallisch blau glänzender Käfer, ein Räupchen (oder ist es ein Wurm, eine Made?), winzige kleine Pflänzchen. Ist es ein Moos? Eine von den in Deutschland vorkommenden tausend Moos-Arten? Oder sind es Algen? Flechten? Überhaupt der Boden. Nicht einfach Dreck ist das, auf dem wir knien, vielmehr eine Welt, von der ein einziges Gramm etwa 600 Millionen Bakterien enthält, 400.000 Pilze und 100.000 Algen. Die oberen 15 cm bringen pro Hektar Mikroorganismen in einer Masse von mehr als 20.000 kg auf die Waage. Hinzu kommen 370 kg tierische Einzeller, 50 kg Fadenwürmer, 10 kg Springschwänze und Milben, 15 kg kleine Borstenwürmer, 50 kg Tausendfüßler, 17 kg Insekten sowie 40 kg Schnecken und 4.000 kg Regenwürmer. Tiere in Massen, wenngleich in oft nur geringer Arten-Anzahl. Die hingegen wird für Deutschland von der Nord- und Ostseeküste bis hin zu den Alpen auf 40.000 bis 50.000 (!) veranschlagt. Allerdings besteht der weitaus größte Teil der Tierarten aus Winzlingen, für die wir gewöhnlich keinen Blick übrig haben.
Da halten wir uns doch lieber erst mal an die Großen unter den Lebewesen. Das sind die Bäume. Lassen Sie uns das Fahrrad nehmen oder das Auto und auf geht‘s zum Besten, was Magdeburgs Natur zu bieten hat, zur Kreuzhorst! Unbedingt dann noch ein Blick zur Alten Elbe. Sie verläuft vom Deich, der die Stromelbe begrenzt, bis in die Gegend von Randau und verliert sich bei Elbenau in Form einzelner Tümpel. Die Vegetation der Uferzone ist ausgesprochen reichhaltig, und erst recht die auf der Wasseroberfläche und inmitten des Wassers. Hier auch finden wir die meisten Tiere: Libellen, Fliegen, Schmetterlinge, Käfer, Wespenartige. Niemand kennt alle die in Deutschland vorkommenden zigtausende Tierarten. Die Anzahl der Hautflügler wird auf 11.000 geschätzt, die der Fliegen- und Mückenarten auf 9.000 und die der Käfer auf 8.000. Selbst Spezialisten kennen sich immer nur in kleineren Artengruppen genau aus. Uns wird es vorerst schon freuen, wenn wir die an der Alten Elbe häufige Pech-Libelle klar von der ebenfalls häufigen Hufeisen-Azurjungfer unterscheiden können. Menschen, die sich in der heimischen Natur einigermaßen auskennen, sind selten geworden. Selbst unter den Biologielehrern finden sie sich kaum noch. Umso mehr Respekt sollten wir jenen zollen, die für ihr Fach glühen und die mit ihren Schülern raus ins Grüne ziehen, um sie sehen zu lehren.
MAGDEBURG KOMPAKT 5. Jg. 2016, Nr. 66, S. 12
Tier und Mensch
Gerald Wolf
Seit etwa zwei Milliarden Jahren gibt es Tiere auf der Erde, uns Menschen erst seit ein paar Millionen Jahren. Oder, bei enger Auslegung des Artbegriffs, sogar erst seit ein-, zweihundertausend Jahren. Was eigentlich ist „das“ Tier? Bei weitem nicht nur, was sich da in Haus, Hof und Garten tummelt oder im Zoo. Auch Korallen und Seerosen und Schwämme gehören dazu – Lebewesen, denen man zunächst gar nicht anmerkt, dass es sich um Tiere handelt. Ebenso zu denken ist an all das Krabbelzeug, das sich nur unter dem Mikroskop zu erkennen gibt: Rädertierchen, Trompetentierchen, Amöben, Augentierchen, winzige Fadenwürmer, Bärtierchen, Milben. Aus der Sicht der Biologie gibt es sehr wenig, was „das“ Tier von sonstigen höheren Lebewesen unterscheidet. Hiernach ist Tier, was sich von anderen Lebewesen ernährt, also nicht wie die Pflanzen, die ihre Energie für den Stoffwechsel und den Aufbau ihres Organismus aus dem Sonnenlicht beziehen. Und eine zweite Gemeinsamkeit haben die Tiere: Sie sind keine Pilze. Mehr an Unterscheidbarem gibt es nicht. Und wenn schon Tiere, was dann ist der Unterschied zwischen Tier und Mensch? Konrad Lorenz, der große Verhaltensbiologe des vorigen Jahrhunderts und einer der größten Seher unserer Zeit, antwortete darauf mit einer Gegenfrage: „Was verstehen Sie unter Tier? Meinen Sie die Amöbe oder den Schimpansen?“ Er wusste damals schon, was wir heute dank der modernen Genetik noch viel sicherer wissen, nämlich dass die Schimpansen als Tiere mit uns Menschen viel näher verwandt sind als mit allen anderen Tieren. Selbst ihre nächsten tierischen Verwandten, die Menschenaffen vom Schlage der Gorillas und der Orang-Utans, stehen ihnen nicht so nahe wie wir Menschen. – Keine Frage, aus Sicht der Zoologie sind wir Tiere.
Wenn der Mensch also zu den Tieren zählt,
dann sind wir gerade mal eine von vielen, von sehr vielen Arten. Niemand weiß genau zu sagen, wie viele ist es gibt. Schätzungen zufolge sind es zwischen drei und dreißig Millionen, manche Wissenschaftler beziffern die Anzahl der Tierarten mit 100 Millionen. Gelistet aber sind bisher nur 1,4 Millionen Arten. Ständig kommen neue hinzu, und ständig gehen andere verloren. Beängstigend schnell gehen sie verloren, und zwar in dem Maße, indem sich unsere Erde verändert. Eine einzige, wenngleich besonders erfolgreiche Tierart sorgt dafür, dass das passiert. Es ist eine von den etwa 250 Affenarten. Sie ahnen es: Der Mensch ist es, wir sind es, und das dank unserer Intelligenz. Hier und da ist die Erde durch den Menschen schöner geworden, meist aber hat er sie verhunzt. Das über alle Maßen mit Vernunft begabte Tier hat sie entwaldet, verbaut, verödet, versandet, vergiftet, und alles zudem mit zunehmender Geschwindigkeit. In seinem Gestaltungseifer konkurriert der Mensch mit all den Tieren und Pflanzen, die längst vor ihm da waren. Einige wenige Pflanzen- und Tierarten züchtet und kultiviert er, und diese dann in Massen, weil er sie für seine Ernährung braucht, weil er sie als schön oder als interessant empfindet oder sie liebkosen möchte. Dafür werden all die anderen Kreaturen weniger, und viele verschwinden ganz. Sehr viele. Manche langsam, andere rasend schnell.
Die Natur inwenig
Zur Vielfalt der Tiere, wie sie sich schon bei der Betrachtung von außen her zu erkennen gibt, kommt die ihrer inneren Natur hinzu. Der Zugang ist zumeist schwierig, spezielle und zum Teil sehr teure Techniken werden dafür gebraucht und all die besonderen Kenntnisse und Fertigkeiten, die ein entsprechendes Hochschulstudium erfordern. Was sich dann dem Betrachter zeigt, ist zumindest ebenso fesselnd. Die meisten Organismen bauen sich aus Hunderten, Millionen oder gar Billionen von Zellen auf. Jede dieser Zellen ist bis zu einem gewissen Grad ein eigenständiges Lebewesen. Ein Mensch z. B. besteht aus etwa 200 Billionen systemhaft zusammenwirkender Zellen, die ihrerseits 200 bis 300 verschiedenen Zelltypen zuzuordnen sind. Jede einzelne dieser Zellen synthetisiert in ihrem Stoffwechsel Tausende und Abertausende Molekülsorten, die jeweils ganz spezielle Zwecke erfüllen. Diese Moleküle stehen untereinander in mannigfaltigen Stoffwechselbeziehungen, in ihrer Gesamtheit als Metabolom bezeichnet. Trotz intensivster Forschungsanstrengungen ist dieses Miteinander bisher nur ansatzweise verstanden. Die im Erbgut (Genom) molekular verschlüsselten Informationen spielen für die Synthese und den Wechsel der Stoffe eine entscheidende - wenn auch nicht die alles entscheidende - Rolle. Bei der Strukturgebung der Zellen, Gewebe und Organe und deren Funktionsmechanismen gibt das Erbgut ebenfalls den Ton an, und es diktiert, ob und wie aus einer Fortpflanzungszelle ein Buschwindröschen oder ein Mensch oder ein Pantoffeltierchen wird. Störungen der molekularen und zellulären Naturgegebenheiten bedeuten im Regelfall Krankheit, deren Wiederherstellung Heilung.
Die Natur ist zu groß für unseren Kopp!
Ein wahrhaft umfassendes Verständnis dessen, was "Natur" ist – die Natur in allen ihren Feinheiten also und der Filz von Wechselbeziehungen im Kleinen und im Großen –, würde das menschliche Vorstellungsvermögen hoffnungslos überfordern. Trotz gigantischer Detailkenntnis sind wir noch immer fern davon, die Gesamtheit des Chemismus auch nur einer einzelnen Zelle zu verstehen, geschweige denn die des Zusammenwirkens ihrer Verbände innerhalb eines Organismus. Schon wenn wir das Gehirn einer Mücke in allen seinen funktionsbeladenen Details begreifen wollten, erst recht deren schier unendliche Kombinatorik, würden wir an Erkenntnisgrenzen der grundsätzlichen Art stoßen. Um wie viel mehr gilt das für die Erkundung unseres eigenen Gehirns mit seinen 100 Milliarden Nervenzellen, den etwa ebenso vielen kooperierenden Gliazellen und ihrer "überastronomisch" hohen Anzahl von Verschaltungsmöglichkeiten! Aus der Struktur des Gehirns und der hochkomplexen Arbeitsweise seiner Teile ergibt sich das, was wir nach außen hin als das Verhalten wahrnehmen, das eines Tieres wie auch das eines Menschen, als dessen Persönlichkeit, Charakter und Temperament. Zumindest wir Menschen nehmen über unsere Sinne nicht nur das wahr, was uns von außen her an Reizen herangetragen wird, sondern wir verbinden all diese Informationen auf eine höchst sonderbare Weise mit Gefühlszuständen. Bei der Innenschau verschmilzt all das zu einem Ganzen, das wir als Seele bezeichnen, als Geist. Diesem Geist und der ihm eigenen Intelligenz verdanken wir die Kulturfähigkeit. Sie ist es, die uns in der Erkenntnis und der Gestaltung der Welt, von uns selbst und unserer Gesellschaft, allen anderen Lebewesen überlegen macht. Himmelhoch überlegen. Daher auch verdienen wir ein hohes Maß an Selbstrespekt, mithin den Namen, den wir uns selber zugedacht haben: Homo sapiens (der kluge, der weise Mensch). Indes, vieles deutet darauf hin, dass uns für die Handhabung dieser Weisheit ein Stück Weisheit fehlt. Das alles entscheidende Stück!
Der übliche Jammer
Denn: Mit den stetig wachsenden technischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten entfernen wir uns immer weiter von unseren natürlichen Voraussetzungen. All die Wirkungen, die auf Wohlstandsmehrung und Zufriedenheit („Glück“) abzielen, haben Nebenwirkungen. Daraus ergeben sich im Kleinen wie im Großen Wirkungsgeflechte, deren Folgen im Fortschreiten immer weniger zu überschauen sind. Apokalyptische Ausmaße sind zu erahnen. Von größter Brisanz dabei ist das weltweite Bevölkerungswachstum. Die ursprüngliche Natur existiert nur noch in Resten, und was ihr abgerungen wurde und wird, leidet unter Übernutzung. Die Folge ist bei anhaltendem Wachstum und sich ständig erhöhenden Lebensansprüchen eine die gesamte Menschheit bedrohende wechselseitige Konkurrenz. Zusammen mit den eskalierenden technischen Möglichkeiten und der praktisch ungehinderten Verbreitung hocheffektiver Waffen entwickelt sich ein immer schwerer zu beherrschendes Selbstvernichtungspotenzial. Es wächst und wächst, weil unsere Weisheit nicht mitwächst. Trotz des "sapiens" im Artnamen. Und die Weltpolitik ist hilflos.
Auch wenn alles nach einem Ende mit Schrecken aussieht, noch ist selbst unsere engere Umwelt reich an Tier- und Pflanzenarten. Schauen Sie sich in Ihrem Garten um Verehrte Leserin, verehrter Leser, oder noch besser: Gehen Sie hinaus vor die Tore unserer Stadt, und Ihnen wird mehr an organismischer Vielfalt begegnen, als Sie jemals geistig erfassen können! Etwa 4.000 Arten an Höheren Pflanzen harren Ihrer Bekanntschaft, 100 Farn-, 1.000 Moos- und 2.000 Flechtenarten sowie 4.000 bis 5.000 Arten Höhere Pilze. Nicht zu vergessen die "niederen" Organismen – Tiere, Pilze und Pflanzen, die nur aus einer einzigen Zelle bestehen oder aus nur wenigen hundert oder tausend. Noch bunter sieht die Welt der Bakterien aus. Von der womöglich in die Vielmillionen gehenden Artenanzahl kennt die Wissenschaft bisher nur einen Bruchteil. Und heimische Tiere? Etwa 50.000 (!) Arten kommen in Deutschland vor, meistenteils Insekten. Darunter 9.000 Fliegen und Mücken, 8.000 Käfer und 4.000 Schmetterlinge. Den Rekord hält mit 11.000 Arten die Ordnung der Hautflügler. Zu ihr gehören die wiederum in viele Arten untergliederten Wespen, Bienen, Ameisen, Grabwespen, Hummeln, Schlupfwespen, Gallwespen, Kuckucksbienen und Blattwespen.
Zur Vielfalt dieser Lebewesen kommt die der Landschaftsformen hinzu, die der Boden- und der Gewässertypen und auch die der Klimate. Das Meso-Klima in einem Wald zum Beispiel und das im Uferbereich eines Sees oder das Mikro-Klima unter einem Blatt oder in einem Ameisenhaufen. All das ist Um-Welt, ebenso wie es die unvorstellbar komplexen Wechselbeziehungen der Organismen untereinander sind. Die unterschiedlichsten Pflanzen- und Tiergesellschaften ergeben sich daraus – und unbegrenzte Beobachtungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für den (wie altväterlich das klingt!) "Naturfreund".
Magdeburg Kompakt, 5. Jg., Nr. 63. 1. Februarheft 2016, S. 8.
Offen und ehrlich
Zur Landtagswahl 2016
Gerald Wolf
Jemandem etwas „offen und ehrlich“ zu gestehen, mag eine Floskel sein, vielleicht aber auch ein Zeichen, dass man es ansonsten mit der Wahrheit nicht ganz ernst nimmt. Jetzt aber mal ganz unter uns und wirklich offen und ehrlich: Sagen Sie immer die Wahrheit? Wenn ja, dann sind Sie die große Ausnahme, denn im Schnitt lügt der Mensch pro Tag etwa 200 Mal. Das jedenfalls behaupten Psychologen, die die Wahrheit über das Lügen erforschen. Bereits eine Schwindelei sei es, wenn wir jemandem „Guten Tag“ sagen, dem wir eher die Krätze an den Hals wünschen. Oder wenn wir einen Beschwerdebrief „Mit freundlichen Grüßen“ unterschreiben. Schon das Verschweigen der Wahrheit ist so ein Problem. Es macht einen Riesenunterschied, ob man Ostereier versteckt und dann so tut, als wisse man nicht wo, oder ob man den Mörder kennt, und ihn nicht nennt. Oder ob der Staat die Nationalität von Kriminellen kennt und sie verschweigt. Der Focus zitierte kürzlich Ex-Bundesinnenminister Friedrich, der von einem „Schweige-Kartell“ aus Politik, Polizei und Medien sprach. Darf es so etwas geben? Hier bei uns, in einer Demokratie, in der es doch ganz offen und ehrlich zugehen sollte? Haben die Polen ihr neues Mediengesetz etwa von uns abgeschrieben? Dann natürlich muss beim Europarat Beschwerde eingelegt werden!
Soziale Lügen
Riesig ist der Formenkreis der sozialen Lügen. Sie schmieren das Räderwerk der Gesellschaft. Gelogen und getäuscht, gebläht und verniedlicht wird der Höflichkeit und dem Takt zuliebe, aus Scham, aus Angst, aus Unsicherheit, aus Geltungsbedürfnis. Oft auch aus einer Not heraus, um der Kritik oder einer Strafe zu entgehen. Andererseits wäre das Leben noch fader, wollten wir einer sturen Korrektheit halber auf Über- oder Untertreibungen verzichten. Wie amüsant doch ist es, auf eine reizvolle Art flunkernd an der Wirklichkeit vorbeizuschlenkern. Auch die Scherzlüge gehört hierher, der Aprilscherz zum Beispiel. Ebenso, dass die Schauspieler nur so tun als ob. Wer schon will da ernsthaft glauben, dieser Prinz Hamlet da vorne auf der Bühne sei real, sei auch in Wirklichkeit der Sohn des brüderlich ermordeten Königs von Dänemark. Je überzeugender der Schauspieler seine Rolle vorgegaukelt, umso fähiger ist er. Auch an eine ganz andere Art von Realitätsferne ist zu denken: An die bösen Wahrheiten, die auszusprechen wir uns besser dreimal überlegen sollten. Einem Sterbenskranken oder sonst wie vom Schicksal Gebrochenen werden wir doch wohl liebend gern etwas Tröstendes sagen wollen, auch wenn wir damit ein Stück weit von der Wahrheit, von der reinen, nackten Wahrheit, abrücken müssen.
Zu einer ganz anderen Art von Unwahrheit gehören die Zwecklügen, derer man sich bedient, um für sich oder andere einen Vorteil zu ergattern. Besonders übel ist die Schwester der Zwecklüge, die Intrige. Ihr Ziel ist der Nachteil eines Anderen. Der Intrigant schafft das mit einem bald mehr, bald weniger fein gesponnenen Netz aus Lügen, Finten und falschen Andeutungen, durch Diffamierung oder durch sonst wie geartete Täuschung. Zur Gattung der Zwecklügen gehören auch Formen der Werbung, wie sie in der Wirtschaft gang und gäbe sind. Da werden dem Gutgläubigen Aktien und Fonds oder Immobilien angedreht, von denen der Verkäufer weiß, dass sie über die Jahre hin nur Verluste einfahren. Pillen und Behandlungsarten werden mit Heilsversprechen verkauft, die blanke Lügen sind. Selbst in der Wissenschaft wird hier und da gelogen, wiewohl diese ihrer Zwecksetzung gemäß zur Wahrheitssuche antritt. Geschummelt wird der Karriere oder der Reputation wegen, oder um Forschungsgelder zu erschleichen.
Wahrheit, Verlässlichkeit?
Wann und wo, so muss man sich nun fragen, haben wir es denn überhaupt noch mit der Wahrheit zu tun, mit Verlässlichkeit? Am Stammtisch etwa oder am Küchentisch, in der Zeitung, im Fernsehen oder im Rundfunk? In der Schule, der Hochschule, bei Demonstrationen auf der Straße, in der Kirche, vor Gericht, wenn nicht bei VW dann bei Mercedes? Oder in der Politik? Ausgerechnet dort? Früheren Umfragen zufolge sollten immerhin noch 15 Prozent der Bürger glauben, dass die Taktiker der Staatskunst immer die Wahrheit sagen und nichts als die Wahrheit, nichts vertuschen, nichts verschleiern, nichts verdrehen. Heutzutage gibt es womöglich überhaupt niemanden mehr. Die Ereignisse der Silvesternacht in Köln, Berlin, Hamburg oder sonst wo und die skandalösen Umstände ihrer Vertuschung werden die letzten der Gutgläubigen hinweggerissen haben. Dumm gelaufen für die Politik. Für den Ossi nicht weiter aufregend, kennt er. Doch Häme hin, Häme her, was schon kann ein Politiker machen, wenn er einer anderen Meinung ist als die, die ihm seine Partei vorgibt? Geradebleiben oder sich krümmen? Wohl besser krümmen, denn sonst ist es mit seiner Karriere aus. Professor Dr. Klaus Kocks, bekannt durch zahlreiche Veröffentlichungen und Auftritte in Talk-Shows, berät Wirtschaftsunternehmen und Politiker in PR-Angelegenheiten. In der Interviewsammlung „Medienmenschen“ ( Hrsg. J. Bergmann und B. Pörksen; Solibro 2007) sagte er, gleich ob Marktprodukt oder Politiker, für die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit sei nicht Wahrheit die Kategorie, die über Sein und Nicht-Sein entscheide, sondern „fiktionale Glaubwürdigkeit“. Wenn es also fiktional glaubwürdig ist, das Blaue vom Himmel herunterzuschwindeln, dann mag das erfolgreicher sein, als offen und ehrlich zu bekennen, durch ein solches Ansinnen überfordert zu sein. Oder denken wir an die Antifaltencremes. Am Alterungsprozess der Haut ändern sie nichts, gar nichts. Das darin enthaltene Fett hat einen rein physikalisch zu erklärenden, glättenden Effekt, das in der Creme enthaltene Wasser lässt die Haut etwas quellen und – feine Runzeln verschwinden. Natürlich nur vorübergehend. Butter oder Rapsöl und ein feuchter Waschlappen tun‘s auch. In Sachen fiktionaler Glaubwürdigkeit hingegen sind die Anbieter wirkliche Klasse. Da wird naturwissenschaftlich und medizinisch begründet, was das Zeug hält. Nichts davon lässt sich belegen, nichts ist Wahrheit. Das einzige, was am Ende stimmt, ist die Kasse.
Politiker und die Wahrheit
Zurück zu den Politikern: Sie alle sind rhetorisch geschult und wissen, ihre Worte erfolgsträchtig einzusetzen. Anders kann man sich in diesem Metier nicht halten und erst recht nicht an die Spitze gelangen. Auch geht es nicht ohne Klugheit, ohne Fleiß und ohne Ausdauer. Gut zu reden und überzeugend zu begründen, führt allein schon bei manchem zu dem Verdacht, über’s Ohr gehau’n zu werden. Natürlich ist das unsachlich. Auch mag man einräumen, dass es in der großen wie in der kleinen Politik so manches gibt, das nicht in die Öffentlichkeit gehört. Zumindest nicht sofort. Das allerdings reicht schon für Willkürlichkeiten aus, zum Beispiel um Geschehnisse, über die wir alle Bescheid wissen sollten, unter den Teppich zu verfrachten. Die Gründe mögen egoistischer Art sein oder parteipolitisch motiviert. Wer wollte, wer sollte, wer könnte das zuverlässig kontrollieren? Allerdings genügt schon eine kleine Flunkerei, wenn sie bekannt wird, um das Vertrauen der Bürger nachhaltig zu zerstören. Das geht auch anders, nämlich indem man um den heißen Brei herumredet oder rhetorische Pirouetten dreht, um der Öffentlichkeit Wahrheitsersatz oder Teilwahrheiten zu präsentieren. Ähnlich ist der Effekt, wenn Politiker mit einem gestörten Verhältnis zur Wirklichkeit unbequeme Wahrheiten vertuschen oder verharmlosen oder diese hinter leerem Gewäsch verbarrikadieren. Erstaunlich gut hingegen kommen noch immer gewisse Schlagworte an, ebenso Verleumdungen Andersdenkender und Gesinnungsphrasen, vorausgesetzt sie sind eingängig und von großer fiktionaler Glaubwürdigkeit (siehe oben: „Antifaltencremes“).
Winzige Stimmchen
Am 13. März haben wir mal wieder die Möglichkeit der Wahl und die zur Abwahl. Jeder von uns verfügt über zwei winzige Stimmchen. Die Masse macht’s, und die ist dabei aufzumucken. Sie fühlt sich verschaukelt, weil die Situation, in die wir bei faktisch aufgegebener Grenzkontrolle durch unbeschränkte Zuwanderung geraten sind, immer noch als „Krise“ bezeichnet wird, obwohl sie längst den Rang einer nationalen Katastrophe erreicht hat. Einige Zeit zuvor hieß es noch beschönigend „Chance“. Von der Politik wurde über all die Monate hin geltendes Rechts kollektiv ignoriert. Jetzt, kurz vor den Landtagswahlen, kommen sie alle auf einmal, die Politiker, auch die Medienleute, und melden Veränderungsbedarf an. Selbst den noch wollen sie, hastig geworden, ständig verändern. Sie könnten einem leidtun, die verunsicherten Politiker, die kürzlich noch ganz sicher waren. Auch das Kartell zwischen den etablierten Parteien und den staatstragenden Medien funktioniert nicht mehr so, wie es kürzlich noch funktioniert hat. Spannend, was dieses Mal die Addition all der vielen kleinen Stimmchen ergibt.
Magdeburg Kompakt, 5. Jg., Nr. 63. 1. Januarheft 2016, S. 6-7.
Klimakatastrophe oder aufgeheiztes Unverständnis?
Gerald Wolf
In Paris 195 Länder das kohlenstoffarme Zeitalter eingeläutet. Per Dekret wird die Reduzierung der Treibhausgase zur Verhinderung einer fortschreitenden Erderwärmung verordnet. Ob’s das Klima kümmert, ist fraglich.
Nicht richtig zu verstehen, was da um einen herum passiert, ist unangenehm, kann hinderlich sein. Ja sogar gefährlich. Schon immer war das so. Ein Rascheln im Busch – was ist das? So fragte sich der Steinzeitmensch, und so tun wir’s heute. Ein Tier? Ein Mensch? Gar einer mit bösen Absichten? Oder doch nur der Wind? Ständig fragen wir uns, was da wo und wann passiert, um uns und in uns. Und ständig suchen wir nach Antwort. Im Beruf, in der Familie, im Supermarkt, auf der Straße, beim Fernsehen, im Internet, oder wenn wir im Bett liegen, und das Herz unregelmäßig schlägt oder die Wade krampft. Der Stoff, aus dem die Wissenschaft gemacht ist, besteht ebenfalls aus Fragen und aus den Versuchen, Antworten zu finden. Um bündige muss gerungen werden, Jahre, mitunter Jahrzehnte lang. Und auch dann können die Antworten noch immer vage sein. Zum Beispiel auf die Frage, leben wir in einem Universum oder in einem Multiversum? Oder: Wie machen wir selbstfahrende Autos vor Angriffen von Hackern sicher? Was ist Geist, wie entsteht er in dem Geflecht aus Nervenzellen? Was verursacht Schizophrenie, was Depression? Oder: Was ist der Grund für das Altern, können wir ihn abstellen? Wie ist zu verhindern, dass die vielen Immigranten nicht in Parallel- oder gar Kontergesellschaften abdriften? Wie wird unser Wetter in sieben Tagen, in vierzehn, wie in einem Jahr?
Die Politik mit den Treibhausgasen
Vergleichsweise einfach hingegen scheint die Sache mit der globalen Erwärmung zu sein. Und wie man sie abstellt. Durch Verminderung der Treibhausgase nämlich, vor allem des Kohlendioxids (CO2). Das weiß jedes Kind. Auch dass es auf diese Weise gelingen wird, die Erderwärmung in den kommenden Jahrzehnten auf weniger als zwei Grad Celsius herunterzudrücken. Dennoch, ich das verstehe nicht, und manch andere auch nicht. Sogar einige Fachleute nicht, Klimatologen, nämlich dann, wenn sie sich auf präziseste Messungen der Erdoberflächentemperatur beziehen. Auf Satellitendaten gestützt, meinen sie, im gesamten Erdenrund gäbe es zurzeit überhaupt keine dauerhafte Erwärmung. Zwar schwankten die Daten von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr, aber seit etwa 2005 hätten wir bei all der Wackelei im Durchschnitt eine konstante Phase oder gar eine der Abkühlung. Und das im Gegensatz zu den Verlautbarungen der großen Masse der Klimatologen und Klimaschutzpolitiker, der Politiker im Allgemeinen, des Papstes und der anderen Kirchenvertreter, wie überhaupt im Unterschied zur Meinung der vielen, vielen besorgten Menschen in aller Welt. Noch ärger: Manche der „Klimaskeptiker“ (in Analogie zu den Gottesleugnern gern auch „Klimaleugner“ genannt) behaupten, das mit den Treibhausgasen sei physikalisch Unsinn, weil für den postulierten Treibhauseffekt Grenzschichten vorauszusetzen wären. Unsere Luft böte solche Phasenunterschiede nicht, nur eben an der Grenze zu den Wolken. Tatsächlich, Luft ist ein Gemisch aus Stickstoff und Sauerstoff, das weiß jeder Schüler (es sei denn, er hat Physik oder Chemie abgewählt, oder er tendiert dazu). Außerdem gehören zur Luft geringfügige Beimischungen, solche aus verschiedenen Edelgasen, aus Kohlendioxid (CO 2), Ozon, Stickoxiden und Methan, Staub und Dreck. Wenn es stimmen sollte, dass derartige Gasgemische mangels Grenzschichten nicht in der Lage sind, die von der Erde abgestrahlte Wärme zu reflektieren, wie will man dann, frage ich mich, für CO 2 oder Methan oder Stickoxide den Titel „Treibhausgase“ oder „Klimakiller“ verteidigen?
Erneuerbare Energien? Da muss Gott noch mal ran!
Ich verstehe das alles nicht, weil ich weder Physiker noch Klimatologe bin. Aber lesen kann ich, und so kommt bei mir die Frage auf, was denn an der ganzen Klimastory wahr ist und was falsch. Auch so manch andere fragen sich das, nicht nur vormalige DDR-Bürger, die gelernt haben, ihre Ohren zu spitzen, wenn es um Linientreue geht, um „politische Korrektheit“, wie es heute heißt. Politisch korrekt z. B. ist, von „erneuerbaren Energien“ zu reden. Nach dem Energie-Erhaltungssatz der klassischen Physik jedoch kann Energie weder erzeugt noch vernichtet werden, mithin auch nicht erneuert. Gemeint also sind erneuerbare Energiequellen. So viel Zeit sollte der Wissenschaftlichkeit halber doch wohl sein, das korrekt auszudrücken, denn um der genderpolitischen Korrektheit willen haben wir ja auch nicht einfach von Bürgern zu sprechen, sondern von „Bürgerinnen und Bürgern“. Selbst dann, wenn es weit und breit keine Bürgerin gibt, die das Bürgeramt ignoriert, weil sie meint, es wäre nur für Männer da. Oder weil sie sich durch die Amtsbezeichnung in ihrer Rolle als Frau nicht ernstgenommen fühlt. Allerdings ist es im Genderforschungsbereich gegenwärtig recht still geworden. Warum wohl?
Ein großes Verständnisproblem habe ich damit, dass Vorhersagen des Wetters (das ja immerhin etwas mit Klima zu tun hat) spätestens mit dem 3. Tag unsicher werden, solche über das Klima in 20, 30 oder 50 Jahren aber ohne Weiteres möglich sein sollen. Soviel sich dank veröffentlichter Daten schlussfolgern lässt, hat die Konzentration des „Klimakillers Nr. 1“, des CO2, seit der vorindustriellen Zeit ständig zugenommen. Sie stieg um etwa ein Viertel, nämlich von 0,03 auf 0,04 %. Allerdings, ziemlich dumm für die Klimaschützer, macht da die globale Temperatur nicht mit. Sie ist seit 2005 gleich geblieben oder – je nach Datenquelle – gar wieder gesunken. Umgekehrt nehmen die Meereisdicke und das Meereisvolumen wieder zu. Wirklich ärgerlich, besonders für die Klimapolitik.
CO2-Konzentrationen ohne uns
Auch hat es in den vorigen Jahrhunderten und Jahrtausenden Änderungen in der CO2-Konzentration gegeben (auch viel höhere als heute), ohne dass entsprechende Klimaänderungen folgten. Mitunter sind diese sogar gegenläufig gewesen. Messungen in Bohrkernen kilometerdicker Eisschilde an den Polen ergaben, dass die CO 2 -Konzentration den Temperaturveränderungen in keinem Fall vorangegangen war, sondern immer hinterherhinkte. Was ist denn nun Ursache und was Folge? Verstehe das, wer will.
Einige der Faktoren, die das Weltklima beeinflussen, sind gut bekannt. Die Sonnenaktivität z. B. und weltweite Luft- und Meeresströmungen. Sie bewirkten das Auf und Ab des Klimas auch in den Zeiten, in denen es noch gar keine Menschen gab. Und welche Rolle spielen diese Umstände heute? Da sollte man sich mal bei den Experten umhören, den Klimatologen. Natürlich nicht nur bei denen, die von der Klimapolitik in Form großzügiger Forschungsgelder profitieren, sondern auch bei jenen, die bereits pensioniert sind. Oder bei denen von der Alternativen Klimakonferenz, die Ende des vorigen Jahres zeitgleich zur Pariser UN-Klimakonferenz in Essen tagte. Immerhin soll es zur Dramatisierung der menschgemachten Klimakatastrophe Manipulationen geben, ja sogar Fälschungen. Wohlgelitten, wie man sagt, weil sie wunderbar ins politische Bild passten. – Verstehen Sie das, verehrte Leserin, verehrter Leser?
Was ich hingegen gut verstehe, ist, dass das Kohlendioxid zur Natur gehört. Nicht nur hauchen die Vulkane dieses Gas aus, wir Menschen tun’s auch. Zu 4 Prozent besteht unsere Ausatemluft aus CO2. Sämtliche Tiere und viele Mikroben produzieren diesen Stoff. Selbst die Pflanzen atmen und verströmen dabei das Gas. Andererseits können sie ohne CO 2 gar nicht existieren, da sie daraus, per Photosynthese, ihre Biomasse aufbauen. Und von dieser hinwiederum ernähren sich Tier und Mensch (oder eben von Tieren, die ihrerseits Pflanzen fressen). Ähnlich die meisten Mikro-Organismen, Bakterien also und Pilze. Klar, die Pflanzendecke der Erde wird durch menschliche Übernutzung immer dünner und siecht an ihren Rändern unter Versteppung und Verwüstung dahin. Allein schon deshalb sollte sich das CO2 in der Atmosphäre anreichern. Ohne Schornsteine also und Kfz-Auspüffe. Andererseits ist man sich weltweit einig, dass etwa 4 Prozent des Kohlendioxids der Erdatmosphäre durch die menschliche Technik verursacht sind (hatten Sie etwa gedacht, es sei mehr?), durch Kraftwerke also, durch Industrie, Autos, Heizung und so weiter. 4 Prozent gemessen an den 0,04 Prozent CO 2 -Anteil der Atmosphäre macht 0,0016 Prozent. Deutschland soll an diesen 0,0016 % mit etwa 3,1 % beteiligt sein. Ergo rund 0,00005 Prozent der Weltluft ist deutsches CO2! Das sind 5 Moleküle von 10 Millionen Molekülen; 0,5 parts per million (ppm). Um diesen Anteil nach Möglichkeit konstant zu halten oder gar noch zu drücken, ist Deutschland bereit, viel Geld auszugeben. Wie es heißt, spendet es 30 Milliarden Euro für den Klimaschutz, im Wesentlichen für alternative Energiequellen, um unseren CO2-Ausstoß zu vermindern. „Dekarbonisierung“ ist das Zauberwort. Und das bei all den Unklarheiten in Hinblick auf Ursache und Wirkung!
Klar, wir sind ein reiches Land
So jedenfalls wird uns gesagt, trotz der zwei Billionen Euro Schulden und abgesehen der für andere Länder eingegangenen Haftungen, was ich ebenfalls nicht verstehe, jedenfalls nicht so ohne Weiteres. Wie stark von dem Klima-Opfergeld die Klimatologen profitieren und all die Politiker und Organisationen, die sich um den Klimaschutz kümmern, weiß ich nicht. Auch nicht, was das alles weltweit kostet. Demgegenüber ist das, was die 12-tägige Pariser UN-Klimakonferenz gekostet hat, sicherlich nur ein Klacks. Immerhin mussten die 40 000 Teilnehmer an- und abtransportiert, untergebracht und verpflegt werden, um schließlich das Klimaabkommen zu beschließen, das für die nächsten Jahrzehnte die Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 °C vorsieht. Einige der Delegierten in Paris sollen Tränen in den Augen gehabt haben, als ihre Beschlussvorlage abgesegnet wurde. Von ihnen selbst abgesegnet. Malen Sie sich aus, verehrte Leserin, verehrter Leser, man müsse irgendwann erkennen, das mit dem CO 2 sei ein riesiger Irrtum (tatsächlich wird mancherorts von „CO 2-Lüge“, von „Klima-Schwindel“ gesprochen) und der Klimawandel, zumal der menschgemachte, wäre eine Art von Religion, etwas, das mit Glauben, aber nichts mit Wissen zu tun hat! Und selbstredend mit Geld. Mit viel Geld.
Da kommt mir eine Idee
Die für die Klimapolitik Verantwortlichen sollten das, was sie Fakten nennen, einmal auf den Tisch legen und mit all den Menschen diskutieren, die das interessiert. Offen und ehrlich. – Offen und ehrlich! Als ob es um eine Ausnahme ginge, um eine Vergünstigung. Es ist dasselbe Übel wie auf allen anderen Feldern der Politik: Das Hinterm-Berg-Halten von Informationen verhaftet uns Bürger in der Unmündigkeit. Unmündigkeit aber „ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ (Immanuel Kant: Was ist Aufklärung? 1784). Sollte das etwa gewollt sein, in einer Demokratie?
Deshalb wohl bleibt es auch dabei:
Ich versteh unsere Welt nicht recht, und schon gar nicht ihre Erwärmung